Dienstag, 29. Dezember 2009

Von Bankok nach Siem Riep

Gewarnt wurde ich ja von anderen Reisenden. Laut Reiseführer muss man mit einer Menge Ärger rechnen, wenn man für die Reise von Bankok nach Siem Riep ein privates Busunternehmen anheuert. Der Gedanke früh morgens nicht zum Busbahnhof pilgern zu müssen und der günstige Preis für die Reise waren allerdings zu verlockend. Also buchte ich die Busfahrt im Backpackerzentrum von Bankok und machte mich auf vieles - aber nicht ganz alles - gefasst.

Am Morgen ging es pünktlich los. Als nach zwei Stunden der Wegweiser in unsere Fahrtrichtung "Bankok 80 km" angab, beschlich mich schon ein eigenartiges Gefuehl. Mit dem öffentlichen Bus dauert die Reise auf der nun gut ausgebauten Strasse noch 7 Stunden. Die Privatunternehmen verlängern die Reise aber immer noch auf 12 Stunden. So sind sie sicher, dass wir fix und fertig nach Einbruch der Nacht in Siem Riep ankommen und in ihrem überteuerten Guest House bleiben, anstatt auf eigene Faust etwas Geeignetes zu suchen.

Nach vier Stunden fanden wir uns in einem einsamen, dem Busunternehmen angegliederten Restaurant wieder. Uns wurde gesagt, dass dies die letzte Essgelegenheit vor der Grenze sei. Wer aber Thailand kennt, weiss, dass es an stark frequentierten Orten immer etwas zum Essen gibt. An Grenzübergängen hat es bekanntermassen immer viele Leute. Uns wurden Anmeldeformulare für das Visum ausgehändigt. Dann sammelten sie die ausgefüllten Formulare mit den Pässen und 40 Fr. für die Visagebühr ein. Ich weigerte mich dies zu tun. Darauf wurde mir mitgeteilt, dass es zu lange dauern wird, das Visum an der Grenze selber zu beantragen. Ich würde dann den Bus auf der anderen Seite verpassen. Ausserdem wisse ich ja nicht, wie das Visum an der Grenze zu erhalten sei. Ich wusste jedoch, dass das Visum an der Grenze 20 Fr. kosten muss und blieb stur.

Nach eineinhalb Stunden Warterei - worauf wusste wohl niemand - fuhren wir weiter zum kambodschanischen Konsulat nahe der Grenze. Was sollte das nun wieder werden? Ich folgte dem Touristenfänger des Busunternehmens ins Konsulat, obwohl sie mich erst daran hindern wollten. Da sass nun der Touristenfänger an einem überdimensionalen Tisch und klebte fleissig Visumskleber in die Pässe, welche er dann abstempelte. Ansonsten war niemand anwesend.

Der Touristenfänger hatte beim Mittagessen die Pässe einer zweiten Gruppe eingesammelt. Diese war noch im Restaurant am Essen. Ich fragte den Helfer ganz unschuldig, ob es nicht möglich wäre, schon an die Grenze vorzufahren und seinen Chef von der zweiten Gruppe abholen zu lassen. So könnten die Leute, die sich ihr Visum selber besorgen wollen, schon einmal mit dem Prozedere an der Grenze beginnen. Mit einem falschen Lächeln im Gesicht sagte mir der Helfer, dass dies möglich sei, wir es aber nicht tun werden, weil der Touristenfänger sein Chef sei. Was soll das denn für eine Logik sein? Wahrscheinlich war ihre Geduld mit meiner Aufsässigkeit bald erschöpft. Mittlerweile hatte ich alle anderen Mitreisenden gewarnt. Die Anderen fingen an Fragen zu stellen und hatten nun auch die Reisehinweise im Buch gelesen. Für sie war die Falle aber schon zugeschnappt, weil sie die Pässe und das Geld schon übergeben hatten.
Endlich kamen wir zur Grenze. Ich kaufte mir etwas zum Essen und beeilte mich den thailändischen Ausreisestempel zu kriegen. Leider waren meine Reiseinformationen nicht ganz vollständig. Ich war dermassen erleichtert, den thailändischen Touristenfänger entkommen zu sein, dass ich bei den kambodschanischen Grenzpolitsten nicht genügend achtsam war. Dummerweise stand ich genau unter dem Schild "Visum 20 $". Somit konnte ich es nicht als Beweis heranziehen. Die Grenzpolizisten verlangten 900 Baht, was umgerechnet 30 Fr. waren und somit 10 Fr. zu viel. Ich beharrte auf den 20 Fr., aber halt nicht genug beharrlich. Ich händigte ihnen schlussendlich die 900 Baht aus. Die Korruption in Kambodscha ist allgegenwärtig.
Die Einreise in Kambodscha danach war einfach und dauerte nur wenige Minuten. Ich beendete die Einreiseformalitäten vor allen anderen Mitreisenden. Auf der anderen Seite der Grenze gab es Zubringerbusse für den Busbahnhof. Da erwartete mich schon wieder der Helfer des thailändischen Touristenfängers. "Was macht der denn hier?" dachte ich mir. Er befahl mir mit dem Shuttle schon vorauszufahren. Ich weigerte mich mit der Begründung, dass ich auf die Gruppe warte und mein Zigarette erst fertigrauchen wolle. Darauf fing er an, mich zu beschimpfen, anzuschreien und zu drohen, dass ich meine Berechtigung für die Weiterfahrt verlieren würde. Widerwillig stieg ich in den Bus. Am Busbahnhof verfrachtetete er mich kurzerhand in einen öffentlichen Bus. Ich wurde somit von der Tour geschmissen, weil sich das Geschäft mit mir nicht lohnte. Vielleicht sollte ich die Anderen auch nicht wissen lasen, um wie viel Geld sie beschissen wurden.

Später sah ich meine ehemaligen Mitreisenden in einem bequemen klimatisierten Minivan.In Siem Riep wurde ich ausserhalb der Stadt an der Strasse ausgesetzt, wo natürlich schon wieder Cutzende von gierigen Tuk-tuk-Fahrern warteten. Kurzerhand schulterte ich meinen Rucksack und lief die wohl 3 km bis zu meinem Guesthouse. Die Tuk-tuk-Fahrer hätten mich ja sowieso nicht mitgenommen, weil ich in kein Guest House gehen wollte, das ihnen Kommission bezahlen würde. Ich hatte mich ja schon mit Jenny verabredet. Wir wollten ein Zimmer teilen. Und was habe ich nun aus dieser Geschichte gelernt? Man kann sich viel Ärger ersparen, wenn man nicht zu faul ist zum öffentlichen Busbahnhof zu gehen.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Eine ungewöhnliche Begegnung

Mir ist nie klar geworden, wieso ich eigentlich in dieses Silberschmuck-Geschäft in Udaipur (Rajasthan, Indien) gegangen bin. Ich hatte schon mehr als genug Schmuck gekauft und wollte meine Zeit für andere Dinge nutzen. Irgendetwas hat mich jedoch magisch angezogen.

Kaum bin ich eingetreten, sagt der Verkäufer zu mir: „Du überlegst zu viel. Du solltest mehr mit Deinem Herzen denken und Dir weniger Sorgen machen. Es wird sich alles in Wohlgefallen auflösen. Du bist ein guter Mensch, der anderen Leuten gerne hilft und auf den man sich verlassen kann.“ Erst einmal schaute ich den Mann überrascht an, denn so wurde ich noch nie begrüsst. Ausserdem bin ich mir nicht sicher, ob das einfach nur wieder eine Masche ist, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, und ob er mich in ein Verkaufsgespräch verwickeln will. Der Mann fragt mich: „Darf ich aus Deiner Hand lesen?“ Wortlos strecke ich ihm meine rechte Hand hin. „Nein, nein, ich muss aus Deiner linken Hand lesen!“. Dann beugt er sich über meine Hand und fängt mit seinem Zeigfinger an, den Handlinien zu folgen und zu nicken. „Gesundheit, Geld und Arbeit werden nie ein Problem für Dich sein“ fängt er an „allerdings musst Du mehr reisen, um glücklich zu werden!“. Da muss ich mir ein Schmunzeln verkneifen, denn ein paar Leute haben mich schon als verrückt abgeschrieben, weil ich so viel mit meinem Rucksack irgendwo in der Welt unterwegs bin. „Du hast Deinen Lebenspartner bis jetzt noch nicht getroffen
. Du wirst ihm jedoch auf einer Reise begegnen“ fährt der Mann weiter „Du wirst wissen, dass er nun der Richtige ist.“ Ich solle dann alles daran setzen, um das Ding zum Laufen zu bringen, auch wenn das bedeute, dass ich nach England oder Belgien umziehen müsse.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts gesagt, sondern nur gespannt zugehört. Der Mann erklärt mir: „Ich hatte schon als Kind die Fähigkeit, Leute zu lesen. Ich wurde von einer geistigen Führerin entdeckt und im Aura lesen geschult. Diese Gabe bringt aber auch Verpflichtungen mit sich. Zum Beispiel darf ich für meine Dienstleistung kein Geld entgegen nehmen. Ausserdem kann ich keine Beziehung zu einer Frau eingehen.“ In letzter Zeit habe er nicht mehr die Aura von Menschen gelesen, da es sehr viel Energie koste. Bei mir habe er sich aber nicht zurückhalten können. Ich frage ihn, was er mache, wenn er ein schwerer Schicksalsschlag beim Handlesen sehe. „Das ist eine wichtige Frage“ meint der Mann „über Unfälle, schwere Krankheiten oder den Todeszeitpunkt darf ich keine Auskunft geben“.

Ich bin verständlicherweise ziemlich verwirrt über die Dinge, die mir Sanjay gesagt hat. Ich muss diese Begegnung erst einmal verdauen. Während ich ihn bei seinen Verkaufsgesprächen beobachte, versuche ich das gerade Erlebte einzuordnen. Mir fällt auf, wie zurückhaltend Sanjay, entgegen den örtlichen Gepflogenheiten, im Umgang mit seinen Kunden ist. Er lässt sie in aller Ruhe die Auslage betrachten. Wenn er nach dem Preis eines Schmuckstückes gefragt wird, sagt er einen fairen Preis. Darauf angesprochen meint er: „Ich werde pro Arbeitstag entlöhnt und arbeite nicht auf Provision. Ich möchte nicht unter Druck stehen, möglichst viel zu verkaufen.“ Die Leute kaufen bei Sanjay gerne und viel, da ihnen auch klar sein muss, dass sie es sonst nirgends zu diesem Preis bekommen. Ein Franzose verlässt das Geschäft, obwohl ihn ein etwas teurerer Fingerring, der eine Einzelanfertigung ist, sehr fasziniert. Sanjay meint nur: „Ach kein Problem, der kommt zurück und wird den den Ring kaufen, bevor er die Stadt verlässt.“

In den nächsten Tagen gehe ich immer wieder ins Geschäft, um mit Sanjay zu plaudern, Tee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Wir diskutieren über Lebensqualität, Meditation, Yoga, gesunde Lebensführung, inneres Gleichgewicht und ähnliche Dinge. Ich geniesse die ruhige Atmosphäre im Laden und kann die Auslagen in aller Ruhe studieren, wenn er Kunden bedient. Für mich ist es ein Ort, wo ich mich vom Gewimmel in den Strassen erholen kann.


Eigentlich hat mir Sanjay mit seinen Prophezeiungen nichts wirklich Neues gesagt, sondern nur das bestätigt, was ich zumindest insgeheim schon wusste, aber vielleicht nicht so gerne wahrhaben wollte. Mir fallen immer wieder Fragen zu den Prophezeiungen ein. Ich frage ihn dann: „Du hast dies und jenes gesagt, wie hast Du das gemeint? Habe ich Dich richtig verstanden, als Du das gesagt hast?" Bei einem unserer Gespräche, schneide ich meine Zweifel über meine berufliche Zukunft an. Sanjay betont: „Du musst Geduld haben und mindestens noch ein Jahr warten bis Du Deine Traumstelle findest. Das Praktikum musst Du allerdings unbedingt machen, auch wenn Du momentan den Sinn dahinter nicht siehst. In 4 oder 5 Jahren wirst Du dankbar dafür sein, das Anwaltspatent doch noch gemacht zu haben. Du wirst aber auch genug Zeit zum Reisen haben“. Bis anhin haben mir alle Leute geraten das Anwaltspatent zu machen, aber ich konnte oder wollte dies nicht so recht glauben. Ich entschliesse mich mit dem Zweifeln aufzuhören, das Beste aus der Situation zu machen und mich in Geduld zu üben. Wenn Sanjay‘s Prophezeiungen sich bewahrheiten, umso besser und wenn nicht, werde ich mir nichts verbaut haben. Das Überlegen und das Abklären von Alternativen, was schlussendlich doch nirgendwohin führt, kostet mich viel Energie. Ich erlebe es als ermüdend. Diese Energie kann ich nun für angenehmere Dinge einsetzen.

Mich hat wohl noch nie eine solch kurze, aber intensive Begegnung so beeinflusst und nachhaltig beschäftigt. Immer wieder überlege ich mir, was wir diskutiert haben, und was das jetzt für mich bedeutet. Ich gehe davon aus, dass mich diese Begegnung auch in Zukunft beeinflussen wird. Normalerweise bin ich sehr zurückhaltend, solchen Prophezeiungen viel Glauben zu schenken. Meine Intuition sagt mir jedoch, dass ich Sanjay als Menschen trauen kann und nicht von ihm verkohlt wurde. Unsere Gespräche wirkten echt und ehrlich auf mich. Da war kein Opportunismus von seiner Seite her spürbar. Dies ist sonst in Indien nicht der Normalfall ist.

Thali in einer einfachen Essstube

Ich habe Hunger und mache mich auf, um ein mir genehmes Restaurant in Jaisalmer (Rajasthan) zu finden. An einem einfachen Bretterverschlag wird ganz frisch Chapati (Fladenbrot) im Feuer gebacken und es riecht verführerisch. Der Koch fordert mich auf, bei ihm ein Thali (indisches Standardmenu mit Gemüse- und Linsencurry z. T. mit mehreren Saucen, Salat, Joghurt und Reis/Chapati) zu essen. Ich schaue in die grossen Töpfe und finde, dass es für umgerechnet 70 Rappen ein Versuch wert ist. Es scheint frisch und heiss zu sein. Hier in Rajasthan besteht das Thali der einfachen Leute meist nur aus Gemüse (Kartoffeln, Kohl, Karotten und Zwiebeln), Linsen und Chapati, aber man kann sich den Magen damit nach Belieben vollschlagen.Ich setzte mich an einen Tisch und bekomme auch gleich das Essen vorgesetzt. Der ungefähr sechsjährige Junge vom Restaurant starrt mich neugierig an, eine weisse Touristin hat er wohl noch nicht so oft zu Gast gehabt. Er legt mir auch gleich 3 Chapati auf den Teller, die vom Backen noch ganz heiss sind. Auch die Currys dampfen noch und schmecken vorzüglich.
Die Leute im Restaurant beobachten mich beim Essen. Ich frage nach einem Löffel, da ich mich durch die Beobachtung gehemmt fühle und beim Essen der Currys mit dem Brot und den Händen zu ungeschickt anstelle. Alle paar Sekunden fragt mich der Junge, ob ich noch mehr Chapati möchte und hüpft mir dabei vor Neugier fast in den Teller. Ich versuche mich aufs leckere Essen zu konzentrieren und es zu geniessen. Beim vierten Chapati winke ich erst einmal ab und nehme noch einwenig Gemüse und Linsen. Der Junge hört aber nicht auf zu fragen. Als ich für ein fünftes Chapati einwillige, strahlt er.
Mittlerweile strömen immer mehr Männer in die Essstube und setzen sich auf die Bänke an der Wand entlang um mir optimal beim Essen zuschauen zu können. Keiner der zirka zehn Männer konsumiert etwas. Es gibt einfach etwas zum Sehen, deshalb kommen sie. Jetzt ist mir wieder klar, wieso ich als Touristin das schlechte Essen im Touristenrestaurants für ein wenig Ruhe vorziehen könnte. Nachdem ich meinen Teller leer gegessen habe und mich sehr satt fühle, mache ich mich in ein Restaurant auf, um da in Ruhe eine Tee zu trinken und mein Buch zu lesen. So viel Aufmerksamkeit ist doch anstrengend.

Aufruhr im Museum

Ich gehe in ein kleines, eher verstaubt anmutendes Museum für folkloristische Kunst in Udaipur (Rajasthan). Es sind nur ein paar indische Touristen da, die mich neugierig beiobachten und "Hallo" sagen oder mich fragen woher ich komme. So habe ich genug Ruhe die Musikinstrumente, berühmten rajasthanischen Marionetten, Schmuckstücke, Masken und Wandmalereinen mit den faszinierenden Muster zu studieren.

Plötzlich kommt eine ganze Schulklasse von zirka 14- bis 15jährigen Jungs aus Delhi ins Museum. Sie fragen zuerst etwas zurückhaltend, wie ich heisse. Bald getrauen sie sich mich zu fragen, ob sie ein Gruppenfoto machen dürfen. Nach dem ersten Foto will der Fotograf natürlich auch noch ein gemeinsames Foto mit mir und die Gruppe ordnet sich für ein weiteres Foto neu an. Mittlerweile herrscht schon ein aufgeregtes Gewimmel. Die Neuigkeit verbreitet sich schnell, dass es Fotos mit einer westliche Frau gibt. Es kommen immer mehr Jungs angerannt, die auch mit auf weitere Fotos wollen. Dann kommt die Idee auf, dass sie einzeln mit mir aufs Foto wollen. Da gebiete ich Einhalt. Das würde ja ewig dauern, wenn ich für 25 Fotos posieren müsste. Zum Glück taucht der Lehrer durch den Lärm angezogen auf und bereitet dem Treiben ein Ende. Sie werden zur Marionettenshow abbeordert und ich kann mir die Ausstellung in Ruhe zu Ende ansehen.

Toy Train (Spielzeugzug)

Darjeeling, am Fusse des Himalayas, wurde unter britischer Kolonie am Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Erholungszentrum britische Soldaten. Vierzig Jahre später zählte die Stadt bereits 10 000 Einwohner (heute sind es ungefähr 200 000 Einwohner). Der Darjeeling-Tee gehört zu den besten und berühmtesten Tees der Welt.
Als wir am Bahnhof von Darjeeling ankommen, fühlen wir uns um hundert Jahre zurück versetzt. Die kleine Dampflokomotive wird bereits zünftig eingeheizt. Der Zug, der zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört, umfasst nur zwei kleine Wagen. Der eine Wagen hat 16 Zweitklasslätze, der andere 12 Erstklassplätze. Es ist eine Schmalspureisenbahn und wirkt mehr wie ein Spielzeug als ein Personenzug. Andererseits muss die kleine Eisenbahn 2 000 Höhenmeter von Siliguri nach Darjeeling überwinden und ist folglich ziemlich leistungsfähig. Pünktlich um 10.15 ertönt das Signal zur Abfahrt indem durch den abgelassenen Druck ein scharfes Hupsignal erklingt. Wir stehen noch auf dem Perron und beobachten das geschäftige Treiben auf dem Bahnhof. Natürlich wurden wir wiederum von indischen Touristen gebeten für ein Urlaubsfoto mit ihnen zu posieren, das sie dann stolz ihren Angehörigen und Freunden zu Hause präsentieren können. Mittlerweile zögern wir nicht lange sondern gruppieren uns schön brav für das gewünschte Foto um die Familie, denn es braucht zu viel Energie immer wieder abzulehnen. Solange sie uns vorher fragen und das Foto nicht heimlich machen, was wir dann doch merken, finden wir es in Ordnung.
Dann geht die Fahrt los. Der Zug setzt sich so langsam in Bewegung, dass auch ich noch bei Fahrt auf den Zug aufspringen kann. Mit zirka 10 km/h fährt der Zug durch die Vororte von Darjeeling. Es kommt mir so vor, als ob wir durch die Wohnzimmer und Geschäfte der Anwohner fahren. Wo sonst Handel betrieben, geklatscht und gespielt wird, macht man ungefähr jede Stunde einmal Platz für den vorbeifahrenden Zug. Wir beobachten wie die Leute in Tempeln beten, ihre Kleider am Gemeinschaftsbrunnen waschen oder auf der Strasse Chai (Tee) trinken. Der Lokführer sitzt vorne auf der Lok und lässt die Beine lässig baumeln. Bei dieser Geschwindigkeit bleibt Musse genug, die vorbeiziehende Landschaft und das Geschäftstreiben zu beobachten. Immer wieder springen Schuljungs und andere junge Männer auf und ab, um sich den Fussweg zu sparen. Drei Stunden später und 30 Kilometer südlich von Darjeeling erreichen wir Kursoeng, ebenfalls eine geschäftige Kleinstadt mit einem nostalgisch anmutenden Bahnhof. Da machen wir erstmals eine Pause und suchen uns eine Unterkunft.

Freitag, 28. November 2008

Wieso ich diese Passion für das Trekking habe

Immer wieder zieht es mich in den Himalaya oder in die Alpen, und das obwohl ich mich schon öfters gefragt habe, was ich hier überhaupt mache, wenn ich am Fuss eines für mich scheinbar unüberwindbaren Passes oder Berges stehe oder mich irgendwann zwischen Mitternacht und vor Anbruch des Tages bei Minustemperaturen aus dem warmen Schlafsack schäle, um für den Sonnenaufgang auf einem Aussichtspunkt oder einem Gipfel zu stehen. Für was die Plackerei? Für was das Frieren? Oder für was das sehr einfache Leben in Kauf nehmen?
Wahrscheinlich reizt gerade das mich. Ich fühle mich beim Trekken der Schönheit der Natur am nächsten, dann die Gerüche des Walde, die Geräusche der Tiere und die Aussicht auf die Berge in mich aufsaugen. Ich fühle das Arbeiten meiner Muskeln, meinen Atem und die Müdigkeit. Es ist nur das Decken der elementaren Bedürfnisse wichtig. Ich will ein warmes Plätzchen zum Schlafen, meinen Hunger und Durst stillen und alle anderen Gedanken und Probleme treten in den Hintergrund, verlieren ihre Wichtigkeit. Es ist wie Meditation, wo man sich auf das Hier und Jetzt fokusiert. Die Vergangenheit und die Zukunft verlieren an Wichtigkeit. Sie sind ja sowieso nicht zu verändern oder zu beeinflussen. Weshalb also Energie darauf verschwenden?
Für manche mag dies als Flucht aus unserer anspruchsvollen und komplexen Welt erscheinen. Ich glaube jedoch, dass jeder (oder zumindest ich) diese Auszeit braucht um wieder die einfachen Dinge des Lebens geniessen zu lernen und einwenig zur Ruhe zu kommen. Oft beobachte ich in unserer Gesellschaft, dass die Leute durch die permanente Reizüberflutung abstumpfen und um ein Erlebnis zu haben noch tollere und verrücktere Sachen machen müssen. Die Wirkung durch Bedürfnisbefriedigung mittels Konsum hält nicht lange an. Die Leere ist nach einem Kaufrausch meist kurze Zeit später wieder da und die Bewunderung der Anderen auf ein angeschafftes Statussumbol schnell verflogen. Aber wer schätzt noch ein Wanderung durch den verschneiten Wald, den Geruch von nassem Moos oder eines Holzfeuers im Wald?
Schlussendlich trekke ich leidenschaftlich gerne, da ich die elementaren Bedürfnisse spüren und mich ganz auf die einfachen Dinge des Lebens konzentriere kann, ohne über das Gestern und das Morgen nachdenken zu müssen. Ich lebe im Moment und das auf eine für mich schönste Art
.

Samstag, 22. November 2008

Was macht man, wenn man friert?



  • Man schüttet Unmengen von heissem Tee (Lemon Tea, Ingwer Tea, Chai, Black Tea) oder Kaffee, der dieses Attribut nicht verdient, in sich hinein.


  • Man zieht alle Kleider, inklusive Schal, Mütze (die in den letzten drei Wochen mit meinem Kopf verwachsen ist) und Handschuhe an.

  • Man vergräbt sich unter zwei Schlafsäcken oder einem Schlafsack und zwei tonnenschweren Decken, zurrt alle Kordeln fest, damit bestimmt keine kalte Luft oben beim Schlafsack reinkommt, und so dass nur noch die Nasenspitze rausschaut.


  • Man versucht sich mit Yoga aufzuwärmen oder mittels Meditation zu suggerieren, dass man sich ganz warm fühlt. Klappt bei mir leider nicht!


  • Man probiert jeden Sonnenstrahl einzufangen und zu speichern (klappt leider auch nicht).


  • Man geht nur unter die Dusche, wenn es heisses Wasser gibt. Die Haare werden nur wöchentlich gewaschen.


Wie war das noch einmal? Die meisten Leute gehen in die Ferien, um die Sonne und die Wärme zu geniessen. Wir scheinen einwenig falsch gewickelt zu sein. Aber nichts desto trotz geniessen wir das indische Essen, die buddhistischen Klöster, den atemberaubenden Himalaya mit dem dritthöchsten Berg der Welt, dem Kangchenjunga mit 8598 Metern Höhe, und den freundliche Leuten.

Rezept für Momos (30 Stück)

Für die Füllung:
ca. 200 g Weisskohl,
1 grosse Zwiebel ,
2 x 2 cm grosses Stück Ingwer und
1 Karotte ganz klein schneiden, hacken
Salz, Pfeffer, einwenig Ghee oder Öl und nach belieben Kurkuma
alles gut verkneten oder kurz anbraten

Teig:
300 g Weiss- oder Halbweissmehl und
1,5 dl Wasser zu einem trockenen und weichen Teig verkneten und kleine Bällchen formen ca. 3 x 3 cm gross, danach mit dem Wallholz ganz dünn auswallen.

Momos formen:
Ausgewallte, runde Teigteile auf die Finger der linken Hand legen, einen Löffel der Füllung auf den Teig geben und mit dem linken Daumen festhalten. Am oberen Teigrand mit der rechten Hand kleine Falten legen und festdrücken bis das ganze Momo geschlossen ist. Anschliessend noch einmal den Saum gut festdrücken.

Anschliessend die Momos auf einem Sieb im Wasserdampf für 15 Minuten dämpfen. Momos schmecken auch, wenn man sie anschliessend in wenig Öl anbrät. Als Alternative für die Füllung eignet sich auch anderes kleingeschnittenes Gemüse, Käse, Thunfisch oder anderes Fleisch. Der Erste der Schokoladenmomos (ev. mit Banane) ausprobiert, soll mir Bescheid geben, wie es geschmeckt hat.

En Guete

Reise nach Sikkim mit viel Unvorhergesehenem

Um 3.15 klingelt mein Wecker. Schlotternd auf dem Balkon stehend, sehe ich den vielen Neuschnee. Ich denke mir, das kann ja heiter werden, bis wir am Flughafen sind. Leider haben weder Daniela noch ihre Eltern mit einem Wintereinbruch gerechnet und somit die Winterpneus noch nicht montiert. Langsam aber stetig fahren wir in diesen frühen Morgenstunden Richtung Zürich und kommen innerhalb nützlicher Zeit auch da an.
Zuerst gab es beim Check-in Probleme mit Danielas Flugticket. Irgendwie wurde sie im Buchungssystem auf den 9-Uhr-Flug anstatt auf den 7-Uhr-Flug gebucht. Ihre Bestaetigung lautete aber auf den 7-Uhr-Flug. Nach dieser kurzen Aufregung und dem Umbuchen schien es dann doch noch mit dem Flug zu klappen. Leider verzoegerte sich schon das Boarding. Im Flugzeug kamen immer wieder Durchsagen, dass wir noch nicht abfliegen koennen, weil sie nicht mit dem Enteisen der Maschinen nachkommen. Endlich mit zweieinhalb Stunden Verspaetung koennen wir starten. Unser Anschlussflug in Bruessel war aber bis zu diesem Zeitpunkt jedoch schon weg, bevor wir in Zuerich ueberhaupt starten konnten.
In Bruessel fängt dann der wirkliche Ärger an. Es gibt keine Informationsschalter und niemand scheint uns weiter helfen zu koennen. Wir sollen in die Abflugshalle gehen, aber wie kommt man denn von der Ankunftshalle in die Abflugshalle? Ein Inder, der auch den Flug verpasst hat, leider kein Visum fuer die EU hat (und auch keines gewollt hat, da er nicht die Absicht hatte in Belgien zu stranden) schliesst sich uns an. Wir irren dreimal hin und her und muessen dann klein beigeben, weil wir nicht um die endlosen Schlangen bei der Immigration herumkommen. Wir haben auch noch das Vergnuegen in der Schlange fuer Nicht-EU-Buerger anstehen zu duerfen, wo die Kontrollen mit den Visen besonders lange dauern koennen. Wir ueben uns dann resigniert in Geduld. Wir entscheiden uns erst einmal um unsere Tickets zu kuemmern und das Gepaeck spaeter zu suchen. In der Abflughalle gehen wir direkt zum Jet Airways-Schalter. Die sagen und, dass wir zum Swiss-Schalter gehen muessen, das diese am verpassten Flug schuld seien. Die Belgier hinterlassen bei uns erst einmal einen unorganisierten und nicht sehr hilfsbereiten Eindruck.
Der Mann am Swiss-Schalter korrigiert diesen Eindruck aber schnell wieder. Er nimmt die Sache in die Hand und hat zwei Optionen im Aermel. Entweder wir fliegen zurueck nach Muenchen und nehmen am Nachmittag den Lufthansa-Flug nach Delhi oder wir warten einen Tag in Bruessel bis zum naechsten Jet Airways-Flug nach Delhi. Er braucht aber fuer die erste Option das Okay von Jet Airways. Der Inder kommt jetzt auch beim Schalter an, er wurde schlussendlich auf Schleichwegen in die Abflughalle eskortiert. Mittlerweile bekommen wir den Auftrag in der Ankunftshalle unser Gepaeck zu holen (oder vielleicht besser suchen?). Also zurueck in die Ankunftshalle, was wegen den Sicherheitsvorkehrungen und den schlangenstehenden Leuten nicht so einfach ist. Min ein paar netten Worten und einem Laechseln ueberzeugen wir die Matrone beim Eingang der Gepaeckausgabe. Wir finden das Gepaeck nicht, was auch schwierig ist, wenn man die Nadel im Heuhaufen suchen muss, denn unser Gepaeck sollte ja im Flugzeug nach Indien sein. Wir eroeffnen ein Dossier fuer verlorengegangenes Gepaeck. Beim Swiss-Schalter erfahren wir, dass wir einen Tag in Bruessel bleiben duerfen, da Jet-Airways unseren Flug nicht an die Lufthansa abtreten will. Wir werden im Sheraton gleich ueber die Strasse einquartiert und mit drei Mahlzeiten versorgt. Der Mann am Swiss-Schalter macht ein paar Telefonanrufe um herauszufinden, wo unser Gepaeck steht. Er bekommt dann die Auskunft, dass es bei einer anderen Gepaeckabwicklungs-Gesellschaft steht, naemlich derjenigen von Jet Airways und nicht derjenigen von Swiss. Da soll einer noch durchblicken! Also zurueck in die Ankunftshalle, mit einem Laecheln und einem Witz an der Matrone vom Sicherheitsdienst vorbei und zur Gepaeckabwicklungs-Gesellschaft. Der Typ da, will unser Gepaeck nicht gesehen haben. Ploetzlich sehen wir unsere Rucksaecke neben dem Foerderband im Gang stehen. Wir laden alles auf einen Trolley und gehen zur anderen Gepaeckabwicklungs-Gesellschaft um die Vermisstanzeige zu stornieren.
Im Hotel speisen wir erst einmal fuerstlich, erholen uns von dem ganzen Herumgerenne und der Anspannung. Danach verkuerze ich den Nachmittag im Fitnesscenter. Am Abend geniessen wir unser tolles Hotelzimmer und schlagen uns mit einem leckeren Steak den Bauch voll.
Am naechsten Morgen am Flughafen wundern wir uns aber einmal mehr, wie schlecht alles angeschrieben ist. Alles klappt eigentlich bis zu den Sicherheitskontrollen, da stehen wir aber einmal mehr in einer unendlich langen Schlangen. Danach muessen wir schon wieder auf unseren Flug rennen.
Ohne weiteren Pannen erreichen wir mitten in der Nacht Delhi. Leider gibt es die Zimmer am Flughafen nicht mehr und wir muessen ein Taxi in die Stadt nehmen, wo wir uns auskennen. Da ist schon die naechtliche Ruhe eingekehrt und wir nehmen fuer die naechsten paar Stunden das erst beste Gaestehaus um uns einwenig auf das Ohr zu legen. Es ist gewoehnungsbeduerftig, mit dem indischen Verstaendnis von Sauberkeit und dem Hundegebruell von der Strasse klarzukommen. Wenigstens koennen wir vier bis fuenf Stunden schlafen, bevor wir wieder zum Flughafen muessen. Am Morgen reicht die Zeit gerade noch fuer ein Sandwich und Kaffee, bevor uns ein Taxi abholt.
Am Flughafen wird uns klargemacht, dass wir am falschen Terminal sind und wir den Bus zum Terminal 2 nehmen muessen, das zirka 5 - 10 Minuten entfernt ist. Auf der Anzeigetafel in der Abflughalle steht fuer unseren Flug nach Bagdogra eine Abflugzeit in wenigen Minuten. Der naechste Adrenalinschub laesst gruessen!. Haette ich doch den Flug noch einmal von zu Hause aus ueberprueft! Als ein Angestellter vom Bodenpersonal sieht, wie verwirrt wir herumirren, checked er uns anstandslos und sehr freundlich an einem Nebenschalter ein. Irgendwie schaffen wir es fuer einmal, man staune, ziemlich schnell durch die Sicherheitskontrollen. Wartend in der Abfertigungshalle merken wir, dass sich auch dieser Abflug zu verzoegern scheint. Ploetzlich kommt der letzte Aufruf fuer unseren Flug. Gab es denn vorher schon Aufrufe zum Einsteigen? Zumindest haben wir sie nicht gehoert oder verstanden! Einmal mehr rennen wir um ein Flugzeug zu erwischen.
In Bagdogra koennen wir gleich unseren Helikopterflug nach Gangtok fuer umgerechnet 50 Fr. buchen. Das Gepaeck lassen wir stehen und wollen noch eine Zigarette rauchen und Kaffee trinken, da wir zwei Stunden Zeit haben. Mit der Zigarette ist es so eine Sache. DaZu muss ich das Gebaeude verlassen und zum wieder Reinkommen muss ich alle Ueberredungskuenste bemuehen. OffiZiell haben wir unser Gepaeck schon eingescheckt und dann duerften wir gar nicht mehr aus dem Flughafengebaeude raus, respektive wieder rein. Feuerzeug und Zuendhölzer sind auf indischen Fluegen auch verboten im Handgepaeck mitzufuehren. Wie wir spaeter haurausfinden, ist rauchen in Indien seit Anfang Oktober in Indien auf oeffentlichen Plaetzen und ueberall in den Gebaeuden verboten. Deshalb finde ich auch kaum jemanden, der mir Feuer geben kann. Der Mann von der Helikoptergesellschaft hilft uns schlussendlich wieder ins Gebaeude zu gelangen. Wir finden keinen Kaffee, aber dafuer einen guten Chai (Tee). Dann werden wir darauf aufmersam gemacht, dass wir uns sofort in die Schlange fuer die Sicherheitskontrollen anstellen sollen, da diese extrem lang sei. Tatsaechlich, wir warten um alle Ecken herum fuer mehr als eine Stunde bis wir in der Abflughalle stehen.
Inzwischen haben wir unser Zeitgefuehl verloren. Wir pendeln zwischen warten und rennen hin und her. Es erscheint uns, als haetten wir noch nie etwas anderes gemacht als von einem Ort zum anderen zu kommen.
Der halbstuendige Helikopterflueg von der indischen Tiefebene ueber die ersten Himalayaketten entschadigt uns fuer die Strapazen der letzten beiden Tagen. Als der Helikopter nach einer Aufwaermphase von fuenf bis zehn Minuten sich langsam abhebt, stockt mir im ersten Moment schon einwenig der Atem, denn das Gefaehrt wirkt schon ziemlich betagt. Es macht aber sonst keine Kapriolen und wir geniessen den Flug bei herrlichem Flugwetter. In Gangtok finden wir schnell ein Gaestehaus und nehmen ein verspaetetes Mittagessen ein. Endlich koennen wir uns nach drei Tagen zu Hause fuehlen und unser Sikkimabenteuer kann beginnen.
Finde nur ich fliegen inzwischen so muehsam oder wird es allgemein schwieriger. Kaum ein Flug scheint mehr ohne unvorhergesehene Zwischenfaelle auf Anhieb zu klappen. Nach meinen kuerzlich gemachten Erfahrungen kann ich mich offensichtlich nicht mehr darauf verlassen nach erhaltenem Flugplan an einem Ort anzukommen.

Montag, 25. August 2008

Meine Freiwilligenarbeit in Hebron im Rückblick


Von Mitte Februar bis Mitte Mai 2008 leistete ich Freiwilligenarbeit in Hebron, wo wir mit unserer Präsenz die Lokalbevölkerung unterstützten und begleiteten, wenn sie bedroht wurden. Zudem beobachteten und dokumentierten wir Menschenrechtsverletzungen. Ich möchte nun zum Abschluss dieses Jahres einen kurzen Rückblick auf diese für mich eher schwierige, aber sehr lehrreiche Erfahrung machen.

Während den ersten sechs Wochen fand ich alles sehr verwirrend. „Das kann doch nicht sein. Ich verstehe das nicht!“, dachte ich immer wieder aufs Neue. Die Geschichten über Festnahmen, Häuserzerstörungen, Belästigungen etc. schienen sich zu wiederholen. Ich schwankte emotional jeweils zwischen „Ach nicht schon wieder! Ich mag es schon nicht mehr hören!“ und Verwunderung über diesen absurden Ort, wo Dinge geschahen, die ich nicht einordnen konnte. In der zweiten Hälfte meines Einsatzes erschien mir plötzlich alles klar. Ich wurde über die Dinge, die ich beobachtete, sehr wütend und hielt diese kaum aus. Ich hatte ein unersättliches Bedürfnis, meine Empörung mitzuteilen, was für mein Umfeld bestimmt nicht immer einfach war. Ich konnte mich auf kein anderes Thema mehr einlassen. Die Besatzungssituation und deren Auswirkungen beherrschten mein Leben vollständig. Ich erlebte diese drei Monate als mental äusserst anspruchsvoll. Ich spürte meine Grenzen und überschritt diese zum Teil auch. Meine Stressbewältigungsstrategien (Yoga, Musik hören, mit Freunden telefonieren) hatten nicht mehr den gewünschten Effekt. Ich versuchte mich vielmehr mit Essen, Rauchen und Kaffee trinken zu entspannen, was dann auch zu einer ziemlichen Gewichtszunahme führte.

Erschwerend kam hinzu, dass wir als Team (bestehend aus zwei Schweizern, einer Engländerin und einem Finnen) unser Sozialleben von Anfang an völlig in den Hintergrund stellten. Uns gelang es nicht, eine gesunde Balance zwischen Freizeit und Arbeit aufzubauen. Ich erlebte das Leben und Arbeiten in einem ehrgeizigen Team als etwas vom Schwierigsten überhaupt. Niemand wollte sich Pausen zugestehen. Sobald wir in unserer Wohnung ankamen, arbeiteten wir an unserem Computer weiter, um Informationen auszuwerten und Berichte oder Artikel zu verfassen, bis wir irgend einmal todmüde ins Bett fielen. Auch gab es für mich einige frustrierende Momente. Es war den anderen Teammitgliedern weniger wichtig, in einem geregelten Haushalt mit regelmässigen Mahlzeiten zu leben. So blieb die Organisation und das Bewirten der vielen Besucher, der Lebensmitteleinkauf und das Zubereiten der Mahlzeiten oft an mir hängen. Meine Teammitglieder bedankten sich jeweils dafür und schienen es zu schätzen. Ich hätte mir jedoch eher ein Mitdenken und etwas mehr Mithilfe gewünscht. Die Wirkung meiner Motivationsversuche hielt leider jeweils nicht sehr lange an.


Auch nach meiner Rückkehr hielt meine Empörung an. Es fiel mir schwer, mich wieder auf mein Umfeld zu Hause einzulassen. Ich hatte verlernt, meine Bedürfnisse wahrzunehmen. Erst während meiner Reise im darauf folgenden Monat in den indischen Himalaya fand ich meinen Seelenfrieden und mein inneres Gleichgewicht wieder. Ich lebte dort nach dem Lustprinzip und lernte wieder, was mir Spass macht. Ich konzentrierte mich ganz auf mich selber. Meist entschied ich mich spontan für ein Trekking, eine Gipfelbesteigung, Yoga oder Meditationsklassen. Während diesen fünf Wochen hatte ich überhaupt keine Lust zum Schreiben, was während dem Reisen für mich eher ungewöhnlich ist. In Hebron hatte ich jedoch so viel geschrieben, dass ich die Freude daran einwenig verloren hatte. Ich dachte mir jedoch: „Was soll es? Das kommt früher oder später schon wieder.“ Ich hatte viele spannende Diskussionen mit zwei Frauen, die ich in Indien kennen gelernt hatte, über Lebensgestaltung und was im Leben wichtig ist. In Bezug auf die Lebenseinstellung fühlte ich mich ihnen sehr verbunden. Mein Interesse für mir eher unbekannte Dinge wie Kinesiologie, indische Philosophie oder Meditation wurde geweckt. Ausserdem hatte die Atmosphäre der kargen Wüstenlandschaft von Ladakh schon eine sehr heilende und meditative Wirkung.

Nun fühle ich mich bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Ich werde mich wohl weiterhin für Menschenrechte einsetzen, aber auch neue Dinge in Angriff nehmen. Wohl ist eine Arbeit in einem so konfliktbeladenen Gebiet wie Hebron zu belastend für mich. Ich sehe aber noch andere Betätigungsmöglichkeiten. Vielleicht werde ich mich vermehrt der Politik zuwenden oder für eine NGO in der Schweiz tätig sein. Vorerst möchte ich jedoch meine Rechtspraktika absolvieren, das Leben geniessen und danach weiterschauen.
(erschienen im Friz 04/08)

Dienstag, 12. August 2008

Mahmoud Jabari - Ein ganz erstaunlicher junger Mann

Auf einer Party in Hebron komme ich mit dem sechzehnjährigen Mahmoud ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er Journalist und Fotograf werden will. Kugelschreiber und Kamera seien seine Waffen gegen die Besatzung und das Unrecht, das in Palästina geschehe.

Ein paar Wochen später bekomme ich die Gelegenheit mich eingehender mit ihm zu unterhalten. Seine Karriere weist schon ein paar ganz erstaunliche Meilensteine auf: Er wurde ins Kinderparlament von Hebron gewählt und führte, um Kinderbürgermeister in Hebron zu werden, das erste Mal einen richtigen Wahlkampf mit eigenem Programm. Er hat einen friedlichen Demonstrationszug für palästinensische Jugendliche mit Kerzen organisiert, damit sie ihre Wut über die vielen Toten an einem Wochenende im Gazastreifen ausdrücken konnten. Dafür erhielt er einige Beachtung in der Westbank und im Gazastreifen. Ende März nahm er an einem Teamleadergipfel als Vertreter für Palästina in New York teil. Dies ist ein Wettbewerb für Jugendliche aus der ganzen Welt, die ihrer Gesellschaft einen besonderen Dienst erweisen.

Die ersten zehn Lebensjahre verbrachte Mahmoud im israelisch verwalteten Stadtteil von Hebron. Er kann sich noch gut an die Schiessereien, das Auffahren der Panzer und die Ausgangssperren nach dem Ausbruch der zweiten Intifada erinnern: „Einmal wurde mein Vater, als er sich nicht an die Ausgangssperre gehalten hatte, von israelischen Soldaten verprügelt. Sie haben ihm seine Fahrlehrerlizenz weggenommen, zerrissen und in den Schmutz geworfen.“ Zu dieser Zeit habe er angefangen alles zu lesen, was ihm in die Finger gekommen sei. Abgeklärt meint er: „Plötzlich hatte ich ein Ziel vor Augen. Ich will Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen und ein positives Vorbild für mein Volk werden.“

Letzten Sommer nahm Mahmoud am Sommerlager „Seeds of Peace“ teil, wo israelische und palästinensische Jugendliche sich austauschen können. „Das Camp war ein Wendepunkt in meinem Leben“, sagt Mahmoud. „Ich habe israelische Freunde gefunden, unter anderem ein sehr religiöser Israeli aus Jerusalem. Ich habe realisiert, dass die Israelis auch nur Menschen sind.“ Alle seine neuen Freunde verfolgten das gleiche Ziel, sie wollten Frieden und ein Ende des Blutvergiessens. Rückblickend meint Mahmoud: “Für mich war die erste Woche im Camp eine schwierige Erfahrung. Ich hätte es am liebsten vorzeitig verlassen, da mein Weltbild durcheinander geriet. Für eine Woche zweifelte ich sehr an meiner Meinung.“ Er hat jedoch durchgehalten. Durch die Diskussionen habe er gemerkt, dass man der anderen Seite zuhören und versuchen müsse ihre Argumente zu verstehen und zu respektieren. Er habe viel über konstruktive Problemlösung gelernt. Mahmoud zieht für sich den Schluss, dass beide Seiten durch die Lösung gewinnen müssen. Bedauernd meint er jedoch: „Ein grosses Problem beim Friedensprozess ist jedoch, dass die Palästinenser nicht die gleichen Rechte wie die Israelis haben.“

Auf die Frage, was ein durchschnittlicher palästinensischer Jugendliche über den Konflikt denke, meint Mahmoud: „Viele Altersgenossen haben kein Interesse an der Politik. Sie interessieren sich vor allem für Mobiltelefone und Vergnügungen“. Weiter sagt er: „Ich möchte ihr Bewusstsein schärfen und ihnen Mut machen, positiv auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. In der Jugend liegt die Energie und Fähigkeit etwas Neues zu kreieren. Die Jugendlichen müssen sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden und lernen, wie sie sich für die Gesellschaft und ihre eigenen Interessen einsetzen können.“ Für ihn bedeute Glück, dass man Wünsche und Ziele für die Zukunft habe, die man verfolgen könne. Man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben. „Für mich ist es wichtig, ehrlich gegenüber mir selber zu bleiben.“ Jugendlichen in anderen Ländern gibt er den Rat, sich von den Medien nicht manipulieren zu lassen und Meinungen kritisch zu hinterfragen.

Mahmoud Jabari hat mich mit seiner differenzierten Art tief beeindruckt. Ich glaube, die palästinensische Gesellschaft braucht junge Leute, die Verantwortung übernehmen und eine klare Vision verfolgen. Mahmoud lässt in mir und in seinen Mitmenschen die Hoffnung aufkommen, dass sich das Schicksal der Palästinenser vielleicht eines Tages zum Besseren wendet. Gut zu wissen, dass Mahmoud nach seinem Studium in Palästina bleiben will und nicht wie viele andere nur noch die Möglichkeit sieht, sein Glück an einem anderen Ort auf der Welt zu suchen. Ich drücke ihm für seine Zukunft als Journalist und Fotograf ganz fest die Daumen. Und wer weiss – vielleicht hören wir in den folgenden Jahren den Namen Mahmoud Jabari noch ganz oft.


(im Friz 03/08 erschienen)

I have a Dream

„I have a Dream“ – dies steht auf unseren T-Shirts als wir am Freitag, mitten in den Pessach-Festivitäten, gemeinsam mit israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten die Shuhada-Strasse im israelisch verwalteten Stadtteil von Hebron hinunter gehen. Die Shuhada-Strasse, früher eine lebendige Marktgasse, ist für PalästinenserInnen gesperrt. Unser Demonstrationszug ist bunt gemischt: Es nehmen israelische Friedensaktivisten aus verschiedenen Generationen, PalästinenserInnen die in Hebron wohnen und internationale BeobachterInnen teil. Gemeinsam möchten wir ein Zeichen gegen die israelische Besatzung setzten. Unsere 70 – 80 Personen grosse Gruppe wird von einem älteren, übergewichtigen Siedler mit Maschinengewehr scharf beobachtet. Mehrmals umkreist er unseren Treffpunkt und filmt uns.

Kurz nach 13 Uhr gehen wir schweigend an der jüdischen Siedlung Beit Hadassah vorbei. Wir sehen für einmal nicht die Geisterstadt mit den verriegelten Türen, dem Stacheldraht, den verbarrikadierten Strassen und den palästinenserfeindlichen Graffitis an den Häuserwänden, sondern beobachten das Tun und die Reaktionen der Siedler, da wir verbale und physische Attacken befürchten. Dementsprechend pocht mein Herz einwenig schneller als üblich. Wir wissen genau, dass diese kleine Demonstration eine grosse Provokation für die Siedler in Hebron ist. Die israelische Armee und die Polizei brauchen ein paar Minuten, um sich zu organisieren und zu reagieren. Während wir die Shuhada-Strasse entlang gehen, geben ein paar israelische Demonstranten die Strasse nicht sofort frei, als ein Siedlerauto von hinten angefahren kommt. Daraufhin waren wir bald von etwa 60 Männern der israelischen Polizei und Armee umringt. Die palästinensischen Mitorganisatoren sind mittlerweile durch eine offene Stelle bei der Friedhofsmauer entwischt, um einer Kontrolle zu entgehen. Sie werden auch so schon oft genug angehalten und festgenommen. Wir verlassen bei der Abraham-Moschee den Demonstrationszug, da sich die Anspannung mittlerweile noch gesteigert hat und sich ein Zusammenstoss zwischen den Siedlern und israelischen Demonstranten kaum noch vermeiden lässt.

Nach dem Wochenende lesen wir in der israelischen Zeitung Haaretz, dass die Demonstranten kurze Zeit später von den Siedlern angegriffen wurden. Die jüdischen Siedler berufen sich in diesem Zeitungsartikel auf ihr Selbstverteidigungsrecht, da der Verkehr aufgehalten und ein Mann unter medizinischer Behandlung angegriffen worden sei
[1] (der übergewichtige Siedler mit dem Maschinengewehr). Die Polizei nahm in der Folge sechzig israelische Friedensaktivisten fest, jedoch keinen einzigen Siedler.

Die berühmte Rede von Martin Luther King, worauf der Spruch auf unseren T-Shirts Bezug nimmt, gibt der Hoffnung Ausdruck, dass die Schwarzen in der Vereinigten Staaten der 60er Jahren eines Tages frei und gleichberechtigt sein werden und sie Gerechtigkeit erfahren. In dieser berühmten Rede kommt auch die Dringlichkeit der Forderungen und der Handlungsbedarf zum Ausdruck, aber auch ein klare Absage an die Gewalt
[2]. All dies lässt sich heute auf die Situation der Palästinenser übertragen.

An diesem Freitagnachmittag wollen die israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die PalästinenserInnen eines Tages wieder die Shuhada-Strasse hinuntergehen können. Dass sie nicht mehr ausgegrenzt, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und an jeder Ecke kontrolliert werden. Dass sie gleichberechtigt sind und ihnen im Umgang mit den Behörden und vor Gericht die gleichen rechtsstaatlichen Garantien gewährt werden wie den Israelis. Die Demonstranten hoffen auf eine Zukunft, in der sie gemeinsam im gleichen Land als gleichberechtigte, freie Bürger, ohne Misstrauen und Hass leben können.


[1] http://www.haaretz.com/hasen/spages/978092.html
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/I_Have_a_Dream

(erschienen in FriZ 02/08)

Hebron – die etwas andere Reiseerfahrung

Diese Stadt in der Westbank ist wohl kein typisches Reiseziel, trotzdem kann man dort sehr gut reisen. Ganz bestimmt wird man viele wertvolle Erfahrungen machen und gastfreundliche Leute treffen.

Die Altstadt von Hebron ist wohl der eigenartigste Ort, an dem ich mich jemals aufgehalten habe. Die meisten Fensterläden und Türen sind verriegelt. Es fahren kaum noch Autos auf den Strassen, nur vereinzelt kommen mir Fussgänger mit gesenktem Kopf entgegen. Ein paar hundert Meter weiter im palästinensisch verwalteten Teil brodelt dagegen das Leben. Die Luft ist erfüllt von Gewürzen und Speisen. Es herrscht, wie überall im Nahen Osten, ein buntes Markttreiben. Nicht so im ehemaligen Herzen der Stadt, welches unter israelischer Verwaltung ist. Dieser Stadtteil ist eine Geisterstadt geworden. Anspannung liegt in der Luft. Normalerweise würde ich rechtsum kehrtmachen.

Hebron ist seit den Osloer Verträgen in zwei Gebiete unterteilt: H2 untersteht der israelischen Verwaltung, wo zirka 400 - 500 Siedler im Stadtzentrum leben und von drei- bis viermal so vielen Soldaten beschützt werden. Hier zeigen sich alle Probleme auf engstem Raum mit denen Palästinenser in der Westbank konfrontiert sind. Diesbezüglich ist Hebron einzigartig. Ein Teil der Geschäfte wurde von der israelischen Armee aus Sicherheitsgründen geschlossen. Andere Geschäfte schlossen ihre Tore wegen den starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und den langen Ausgangssperren während der zweiten Intifada. Deshalb kam der Handel im Herzen der Altstadt in den letzten Jahren fast vollständig zum Erliegen. Dieser absurde Ort ist mein zu Hause für drei Monate.

Freiwilligenarbeit in Hebron
Mit meinem Rucksack war ich schon in fast allen Erdteilen unterwegs und die klassischen Sehenswürdigkeiten haben für mich mittlerweile nicht mehr erste Priorität. Viel lieber suche ich andere Zugänge zu Land und Leuten. Deshalb entschied ich mich dazu, in Hebron Friedensarbeit zu leisten. Es sind neben den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit vor allem die radikalen, religiös-nationalistisch motivierten jüdischen Siedler, die in Hebron das Alltagsleben der palästinensischen Bevölkerung erschweren. Deshalb begleiten wir vom ökumenischen Begleitprogramm in Israel und Palästina (
www.eappi.com[i]) von Sonntag bis Donnerstag die Kinder der Cordobaschule zur Schule. Regelmässig besuchen wir palästinensische Familien und Geschäftsbesitzer, welche diese moralische Unterstützung sehr schätzen. Oft machen wir Rundgänge in den spannungsgeladenen Stadtteilen um Veränderungen zu beobachten und festzuhalten. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb führe ich zwei- bis dreimal in der Woche eine Tour für Touristen oder Medienleute durch.

Cordobaschule
Jeden Morgen und jeden Mittag stehen wir beim Kontrollposten am Eingang zum israelisch verwalteten Stadtteil und beim Treppenaufgang, der zur Schule hinaufführt. An diesen Orten fanden vor der internationalen Präsenz öfters Übergriffe von Siedlern auf palästinensische Kinder statt. Diese Belästigungen haben seit der Anwesenheit von MenschenrechtsbeobachterInnen an Intensität und Häufigkeit abgenommen. Wir versuchen ausserdem vermittelnd einzuwirken, wenn es zu Problemen mit Soldaten bei Kontrollposten kommt.

Sundus und ihre Freundin Maruaa halten meist auf ihrem Schulweg für einen kleinen Schwatz mit uns an. Am Anfang vergass ich immer wieder den Namen von Maruaa. Als sie mich wieder einmal fragte, wie ihr Name denn sei, sagte ich: „Ich habe zwar deinen Namen schon wieder vergessen, deine wunderschönen blauen Augen werde ich allerdings nie vergessen!“ Darüber musste sie herzlich lachen. Seither neckt sie mich, wenn wir uns begegnen, und ruft mir zu: „Beautiful blue eyes!“. Die blauen und grünen Augen vieler Palästinenser und vor allem der Hebroniten sind wahrscheinlich ein Erbe der Kreuzritter.

Um acht Uhr trinken wir oft Tee mit Reem, der Schulleiterin der Cordobaschule. Sie ist eine starke Persönlichkeit, die genau weiss was sie will und wie sie es erreichen kann. Ihr Englisch ist hervorragend und sie war schon in vielen Ländern zu Gast. Reem ist ein absoluter Profi, wenn es um Öffentlichkeitsarbeit für die Probleme der Schule und um Sponsorensuche für Verschönerungsprojekte in der Schule geht. Sie fühlt sich mit ihrer Kultur und den Wertvorstellungen ihrer Gesellschaft stark verbunden und kann uns viele interessante Dinge erzählen. Es ist immer wieder ein grosses Vergnügen ihr zuzuhören.

Belästigungen
Hashem Al-Azzah lebt gleich unterhalb eines Containerblocks der Siedler. Er getraut sich kaum noch in seinen Garten hinter seinem Haus zu gehen, um seine Oliven zu ernten, da er befürchten muss mit Steinen oder Abfall beworfen zu werden. Das Ziel der Siedler ist es, die palästinensische Bevölkerung hinaus zu ekeln. Sie glauben, dass Israel inklusive den besetzten Gebieten ihr von Gott versprochenes Land sei.
Wir besuchen Hashem’s Familie regelmässig und bringen interessierte Leute zu seinem Haus, um ihnen die Lebensbedingungen dieser Familie in Tel Rumeida (Stadtteil in H2) zu zeigen. Hashem zeigt jeweils Videoaufnahmen, die Belästigungen durch Siedler dokumentieren, damit sich die Besucher das Leben in einem solchen Umfeld konkret vorstellen können. Mittlerweile wurden alle Familien in diesem Stadtteil von Btselem, einer israelischen Menschenrechtsorganisation, mit Videokameras ausgerüstet. So können Zwischenfälle festgehalten und im Internet veröffentlicht werden. In einem allfälligen Gerichtsverfahren dienen die Aufnahmen auch als Beweismaterial.

Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Ein grosses Problem für die palästinensischen Bewohner von H2 sind die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Sie dürfen in diesem Stadtteil nicht mit dem Auto herumfahren. Alle Lebensmittel und Gasflaschen müssen sie zu Fuss den Hügel hinauftragen. Ausserdem ist eine Schliessung des Kontrollpostens meistens nicht vorhersehbar und verunmöglicht in der Folge eine Rückkehr nach Hause.
Nisreen, die Ehefrau von Hashem, erwartet in den nächsten Wochen ihr drittes Kind und die Anspannung ist ihr ins Gesicht geschrieben. In der Nacht, als ihr Sohn Unis auf die Welt kam, wurde ihnen das Passieren des Kontrollpostens verweigert. Um zur palästinensischen Ambulanz zu gelangen, die sie ins Krankenhaus bringen konnte, musste Hashem seine Frau über einen Zaun hieven und durch Hintergärten in die Stadt hinunter tragen. Dieses Erlebnis hat Nisreen stark geprägt und ich kann ihre Befürchtungen gut verstehen. Hoffentlich will das Baby dieses Mal am Tag das Licht der Welt erblicken. Nisreen versucht zwar zu lächeln, aber ich spüre, dass ihr mehr nach weinen zu Mute ist.

Anschluss ans Familienleben
Der Kontakt mit Hashem’s Familie ist nicht nur auf die Arbeit beschränkt. Bei Geburtstagen oder anderen Familienfesten sind wir immer herzlich eingeladen mitzufeiern. Hashem sagte einmal: „Für mich ist es wichtig, dass ihr nicht nur die schwierigen Momente mit uns teilt, sondern auch an den fröhlichen Momenten des Familienlebens teilhaben könnt.“
Einmal haben wir die ganze Familie zu uns zum Nachtessen eingeladen. Am nächsten Morgen während der Schülerbegleitung hat Hashem’s Nichte Sundus mir zugeraunt: „Das Nachtessen war sehr lecker. Ich habe den ganzen Abend ausgiebig genossen. Das erste Mal in meinem Leben war ich wirklich glücklich!“ Diese Worte haben mich sehr gerührt, da ich spürte, dass sie es aus tiefstem Herzen so gemeint hat.

Altstadt
Am Vormittag machen wir oft Rundgänge durch die beinahe ausgestorbene Altstadt, damit die Bevölkerung diesen Ort wieder als Lebens- und Handelsraum wahrnimmt und motiviert wird zurückzukehren. Wenn wir genug Zeit haben, trinken wir im Souvenirgeschäft von Nawaal Tee oder Kaffee. Sie ist eine Friedensaktivistin und verlässliche Informationsquelle für uns. In ihrem Geschäft verkauft sie bestickte Textilien von einer Frauenkooperative aus Dörfern südlich von Hebron. Auch mit anderen Ladenbesitzern pflegen wir regelmässig Kontakt und werden des öfteren zu Tee oder Kaffee eingeladen. Immer wieder werden wir von der unermesslichen Gastfreundschaft der Palästinenser überrascht. So wird unsere Schatzkiste mit Geschichten immer voller und wir fühlen uns je länger je mehr mit den Hebroniten verbunden.

In den ersten beiden Monaten fühlte ich mich sehr verwirrt und fassungslos. Dem Thema Besatzung und deren Auswirkungen auf alle Aspekte des täglichen Lebens konnte ich nicht entfliehen. Es gab für mich keinen anderen Lebensinhalt mehr. Ich erlebte die mentale Belastung mit den vielen hilflos machenden Geschichten als sehr gross. Ich fand kaum einen Weg, um damit umzugehen. Das Leben in der Schweiz schien mir Lichtjahre entfernt zu sein. Später fühlte ich mich sehr wütend und wollte meine Wahrnehmung von der Wahrheit in die Welt hinausschreien. Mittlerweile gelingt es mir mit der räumlichen Distanz wieder besser einen akzeptablen und vermittelnden Ton zu finden, wenn ich über die Zeit als Freiwillige in Hebron berichte.

Reisen in der Westbank
Hebron war einmal eine wichtige Handelsstadt und ein Pilgerort für Christen, Muslime und Juden, da sich nach der Überlieferung hier die Gräber von Abraham, Isaac, und Jakob inklusive diejenigen ihrer Ehefrauen befinden
[ii]. Heute ist es wegen dem anhaltenden Konflikt und den schwierigen Umständen sehr ruhig geworden. Es verirren sich kaum noch Touristen in die geschichtsträchtige Stadt. Besucher sind für die Hebroniten als moralische Stütze und für den wirtschaftlichen Aufschwung, der hoffentlich wieder einmal einsetzen wird, wichtig.

Hilfsbereitschaft
Trotz dieser Tatsachen ist es möglich hier zu reisen und sich sicher zu fühlen. Auf Schritt und Tritt begegnet man sehr hilfsbereiten und freundlichen Menschen. So stehe ich nie lange ratlos an der Strasse, wenn ich nicht weiss, welches Sammeltaxi ich nehmen muss. Die Leute wollen nicht in erster Linie etwas verkaufen, wie das in anderen mehr touristischen Ländern oft der Fall ist. Sie freuen sich einfach über die BesucherInnen, über die Anteilnahme oder das Interesse, das man mitbringt. Manchmal, wenn ich müde bin und meine Ruhe möchte, wünschte ich, die Leute wären weniger neugierig und freundlich. Wenn ich in einem Sammeltaxi irgendwohin fahren will, werde ich immer gefragt, was ich in Palästina mache und meistens entwickelt sich daraus eine Unterhaltung. Das ist wohl der Preis für so viel Herzlichkeit, die ich hier erfahre.

Als Frau unterwegs in Hebron
Solange man den in unseren Augen konservativen Vorstellungen bezüglich der Kleidung nachkommt, wird man als Frau nicht belästigt. Natürlich erregt man als junge Europäerin Aufmerksamkeit. Es gibt wie überall übermütige Jungs, die eine junge Frau erschrecken wollen oder sich zu einem Scherz hinreissen lassen. Auch in Bezug auf die Kleinkriminalität braucht man sich nicht grosse Sorgen zu machen. Diebstahl ist in der muslimischen Welt äusserst verpönt und die kontrollierenden sozialen Strukturen verhindern Übergriffe zusätzlich. Seinen guten Ruf zu verlieren, will niemand riskieren. Zumeist kennt man sich hier oder zumindest die Herkunftsfamilie. So brauche ich beispielsweise nie lange Nachforschungen anzustellen, wenn ich jemanden suche oder einen Kontakt mit einer Person herstellen will.

Reiseführer
Der Reiseführer Palestine & Palestinians von der Alternative Tourism Group (ATG;
www.atg.ps) beleuchtet als erster Reiseführer die palästinensische Seite, Kultur, Religion und Geschichtsschreibung und hat viele praktische Reiseinformationen für faires Reisen in Palästina. ATP bietet selber auch Touren an oder ist Individualtouristen bei der Planung ihrer Reise in den besetzten Gebieten behilflich.

Organisierte Touren
Sehr empfehlenswert und berührend ist eine Tour mit „Breaking the silence“. Israelis, die in Hebron gedient haben, erzählen vom Leben als Soldat in den besetzten Gebieten und den Problemen, mit denen Hebroniten konfrontiert sind (
http://www.breakingthesilence.org.il/tours_e.asp).

Sicherheitsvorkehrungen
Bei der Ein- und Ausreise ist es besser den Besuch in den besetzten Gebieten nicht zu erwähnen. Man soll bei der Wahrheit bleiben, aber die Schwerpunkte der Reise anders darstellen. Man kann auf klassische Touristenziele in Israel verweisen, die sowieso auf dem Programm stehen, oder den Besuch bei Freunden hervorheben. Man sollte bei der Ausreise kein Material mitführen, das auf den Aufenthalt in der Westbank hinweist. Dies würde nur zu langwierigen und unangenehmen Befragungen führen. Wer viel Video- oder Fotomaterial bei der Ausreise mit sich führt, sollte zur Sicherheit alles auf eine CD brennen und diese von Westjerusalem oder Tel Aviv nach Hause schicken.
Ausserdem sollte man ein paar Sicherheitsvorkehrungen treffen, wie z. B. das schweizerische Konsulat über den Aufenthalt in der Westbank informieren (
http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/travad/hidden/hidde2/israel.html). Die politische Situation kann sich in Palästina und Israel sehr schnell ändern, deshalb sollte man sich laufend vor Ort informieren. Hilfreich ist es bestimmt, wenn man mit Leuten oder Organisationen vor Ort im Kontakt steht. Gute Informationen liefert die palästinensische Nachrichtenagentur Maan (www.maannews.net/en) oder die israelische Zeitung (www.haaretz.com).


[i] In der Schweiz werden die Freiwilligen von Peace Watch Switzerland (www.peacewatch.ch) rekrutiert und ausgebildet.
[ii] http://de.wikipedia.org/wiki/Hebron

erschienen in "Mein Magazin", April 2009

Meine erste Babyparty - oder wie man sich in 15 Minuten betrinkt

Mir bleibt gerade genug Zeit mein Gepäck im soeben erst bezogenen Gästezimmer abzustellen, schon erfolgt eine Einladung zu einer Babyparty. Diese werden einen Monat nach der Geburt eines Babies gefeiert, um die frischgebackene Mutter und ihr Baby zurück in der Gesellschaft willkommen zu heissen. Je mehr Leute erscheinen, desto mehr Glück bedeutet es für das Baby.

Die Musik ist im ganzen Dorf zu hören. Es ist erst kurz nach Mittag und die Sonne brennt erbarmunglos auf dieses laotische Dorf herunter. Die Party ist seit den frühen Morgenstunden in vollem Gange. Ich werde herzlich begrüsst und gleich mit Fragen bombardiert. Schnell merke ich, wer im Dorf das Sagen hat. Kaum habe ich mich hingesetzt, wird mir eine Tasse Laolao, der lokal gebrannte Reisschnaps, gereicht. Der muss natürlich in einem Zug ausgetrunken werden. Während ich versuche die ausgelassene Stimmung zu erfassen, die vielen Fragen zu beantworten und das mir in den Mund geschobene Essen zu schlucken, folgen in schneller Abfolge die nächsten Laolao und zwei Gläser Bier. Ablehnen gilt nicht! Ich kann gerade noch herausfinden, wie es sich mit dem Geschenk für den Gastgeber verhält, bevor die Wirkung des Alkohols meinen Verstand vernebelt. Ich übergebe einem der Gastgeber einwenig Geld für zwei bis drei Flaschen Bier, was hier ein Luxusgut ist. Mich kostet dies jedoch nur knapp 4 Franken.

Mehrmals deuten die Leute auf meinen mitgebrachten Tagesrucksack und sagen, dass ich ihn im Auge behalten soll. Die Verlockung zu stehlen sei gross, wenn die Leute so betrunken sind. Ich soll auch genug vom Laap (scharfgewürztes Fleichgericht) essen, damit der Alkohol mich nicht gleich umhaut. Es ist so heiss, dass mir der Schweiss nur so aus den Haaren tropft. Die Kleider kleben mir am Leib. Die Musik kracht aus den überdimensionierten Lautsprecherboxen. Als ich zum Tanzen mitten auf die Tanzfläche gezogen werde, spüre ich den Schnapps schon heftig. Irgendwie schaffe ich es noch, mir das Baby anzusehen und die Mutter zu begrüssen. Auch dem Vater werde ich vorgestellt, der kaum noch gerade steht. Mit meiner letzten Vernunft entschliesse ich mich nach einer knappen Stunde, dass ich den Rucksack in mein Zimmer zurückbringe und mir Wasser und Zigaretten besorge. Auch hoffe ich durch die Pause wieder einwenig klarer denken zu können. Innerhalb kürzester Zeit trinke ich die ganze Wasserflasche leer. Helfen tut es wenig. Ich finde alles so lustig und die Gesichter tanzen vor meinen Augen. Leider bekomme ich immer wieder Nachschub an Alkohol. Die Amerikanerin, die seit dem Morgen schon auf der Party ist, wird von ihrem Freund in ihren Bungalow zurückgebracht. Andres aus Spanien ist auch plötzlich verschwunden. Zu meinem Glück taucht kurz darauf Helmut auf, mit dem ich ab und zu unterwegs bin.

Irgend einmal artet die Party beinahe in eine Schlägerei aus, weil ein Dorfbewohner seinen jüngeren Bruder aufforderte nach Hause zu gehen und seinen Rausch auszuschlafen. Danach beginnt die allgemeine Aufbruchstimmung. Mittlerweile schläft der Vater des Babies alle Gliedmassen von sich gestreckt und mit weit offenem Mund neben seinem Baby tief und fest. Es ist schon späterer Nachmittag. Leider kann ich meinen rechten Flip-Flop nicht mehr finden. Die Suche ist ergebnislos. Ich gehe zu einem der wichtigen Männer im Dorf und behaupte, dass jemand aus Versehen meinen Schuh mitgenommen habe. Der Mann kichert laut los und verspricht mir den Schuh zu bringen, falls er wieder auftaucht. Er meint noch zu Helmut, dass dieser mich ins Gästehaus zurückbringen soll. Helmut hat weniger Laolao abbekommen, da er erst so spät auftauchte. Auch den anderen Leute im Dorf erzähle ich die Geschichte vom verschwundenen Schuh. Dann schnappe ich mir den anderen einsamen Flip-Flop, der meinem sehr ähnlich sieht. Auf dem Nachhauseweg treffe ich die Tochter des Gästehausbesitzers an. Natürlich klage ich ihr mein Unglück. Darauf grinst sie und sagt, ich hätte den falschen Flip-Flop aus dem Gästehaus mitgenommen. Mein rechter Schuh stehe vor dem Eingang. Ungläubig schaue ich sie an. Wie konnte ich nicht bemerkt haben, dass ich nach dem Zurückbringen des Rucksackes zwei verschiedene Schuhe an den Füssen hatte? - Tatsächlich mein über alles geliebter Flip-Flop steht schön brav vor der Tür! - Wie peinlich - Das ganze Dorf wird nun über die Geschichte lachen.

Nachdem ich noch einmal einen Liter Wasser getrunken habe, lege ich mich in die Hängematte. Anfänglich wird mir so schlecht, wenn ich die Augen schliesse, dass ich krampfhaft versuche wach zu bleiben um das geschäftige Treiben im Dorf zu beobachten. Nach einer Weile schlafe ich trotzdem ein. Zwei Stunden später erwache ich und fühle mich soweit wieder hergestellt. Schlechter ergeht es den anderen Touristen, die an der Party waren. Sie schlafen sechzehn Stunden am Stück und sind am nächsten Morgen nicht im Stande auf die Wanderung mitzukommen.

Kräutersauna bei 35 Grad

Ich bleibe stehen und lese das Schild: Herbal Sauna 10 000 Kip (= 1 Franken). Das Haus steht wie alle anderen Häuser auf Holzstelzen. Die Wände sind aus Bambus und das Dach mit Schilf bedeckt. Vor dem Betreten des Hauses ziehe ich wie immer meine Flip-Flops aus. Eine steile Holztreppe führt zum Eingang hinauf. Es riecht nach Kräutern und brennendem Holz.
Kaum habe ich den Raum betreten, wird mir ein Baumwolltuch in die Hand gedrückt und ich werde hinter einen Vorhang verwiesen um mich umzuziehen. Nur mit dem Baumwolltuch bekleidet, nehme ich als erstes eine Kübeldusche indem ich mit einer Plastikschüssel Wasser aus einem grossen Bottisch schöpfe, mich damit abspritze und danach einseife. Es gibt zwei Holzverschläge, die als Dampfbad dienen. Ich mache die eine Tür auf und sehe, als ich den Vorhang hebe, erst einmal gar nichts. Es gibt nur ein winziges Fensterchen, durch das trotz der Spinnweben einwenig Licht hereinkommt. Durch den Dampf hindurch ist ganz schwach eine Sitzbank erahnbar. Da setze ich mich hin. Ich bin die Einzige, weil es noch so früh ist. Langsam atme ich den Dampf und die würzige Kräutermischung ein. Durch die Lücken im Holzboden steigt sehr heisser Wasserdampf auf und verbrennt mir fast die Fusssohlen. Es wird zünftig mit Holz eingeheizt. Der Dampf wird durch ein rostiges Metallrohr in die Schwitzstube herein geleitet. Nach 20 Minuten beende ich die erste Runde und ich erhole mich nach einer kalten Dusche bei Grüntee.

Langsam trudeln auch die Laoten ein, die nach der Arbeit Entspannung und Entschlackung suchen. Andere lassen sich für umgerechnet drei Franken eine stündige Ganzkörpermassage geben. Es wird gelacht, getratscht und geschwitzt. Das Treiben wird immer lauter und bei meiner zweiten Runde sind die Schwitzkammern schon ziemlich voll. Man beobachtet mich neugierig und verstohlen. Nach der dritten Runde und bevor ich mich wieder anziehe, gönne ich mir noch einmal eine ausgiebige Kübeldusche. Nach diesen zwei Stunden fühle ich mich wie neugeboren. Die Haut ist samtig weich und ich habe immer noch den Geruch der Kräutermischschung in der Nase.

Manche mögen behaupten, dass man bei dieser Luftfeuchtigkeit und der Hitze doch keine Sauna brauche. Aber es hat trotzdem einheimlich Spass gemacht und die Poren gereinigt. Auch das tropische Klima empfinde ich nach der Sauna nicht mehr so niederdrückend. Es war bestimmt nicht mein letztes Kräuterdampfbad.

Trekking zu den Bergvölkern Laos

Auf dem Weg in mein Zimmer spricht mich eine Australierin an und fragt, ob ich folgenden Tag mit ihnen auf einen Dreitagestrek in den Hügeln von Muang Sing ganz an der laotisch-chinesischen Grenze zu den Bergvölkern mitkommen will. Sie seien schon eine Gruppe von sechs Leuten und ich könne gerne mitkommen. Da ich eben erst angekommen bin und noch nicht einmal mein Gepäck nach der langen Busfahrt abgestellt habe, sage ich ihr, dass wir es beim Nachtessen besprechen können. Eigentlich will ich mich erst einmal einen Tag lang umsehen und einwenig ausspannen. Da aber die Touristen in diesem Dorf beinahe an einer Hand abzuzählen sind, muss ich wohl die Gelegenheit ergreifen. Die Chancen eine Gruppe für die nächsten Tage zusammen zu trommeln stehen ganz schlecht. Also packe ich am nächsten Morgen ein paar Sachen in meinen Tagesrucksack, bezahle die umgerechnet 50 Franken für das Trekking und kurze Zeit später sitzen wir alle ganz gespannt in einem Tuktuk.

Nach einer knappen halben Stunde kommen wir in einem Hmongdorf an, von wo es zu Fuss weitergeht. Das erste Stück des Weges führt uns durch die hellgrünen Reisfelder. Immer wieder müssen wir auf wackeligen Holzplanken über die Bewässerungskanäle balancieren. Es vergeht keine halbe Stunde und ich stehe das erste Mal mit meinen Joggingschuhen im Wasser. Naja, was soll es? Ich werde am Ende dieser 3 Tage sowieso vor Schmutz stehen und wahrscheinlich ziemlich nass sein. Mittagspause machen wir in einem Akha-Dorf, das erst vor 10 Jahren von den Bergen dahin gezogen ist. Die Regierung "unterstützte" die Umsiedlung, um sie vom Opiumanbau und -konsum wegzubringen. Heute leben sie vom Gemüse-, Kautschuk-, Reis- und Maisanbau. Die Opiumabhängigkeit verursacht nicht mehr so viel Probleme und die Lebensbedingung haben sich in den letzten Jahren merklich verbessert.

Am Nachmittag geht es dann bergauf, was bei dieser Luftfeuchtigkeit sehr schweisstreibend ist. Nach zwei Stunden erreichen wir ein weiteres Akha-Dorf, wo wir wie die Leute in einfachen Bambushütten auf Stelzen am Boden übernachten. In der Küche gibt es eine Feuerstelle am Boden, wo unser Essen gekocht wird. Um uns zu waschen, müssen wir zirka zehn Minuten gehen, um ausserhalb des Dorfes an ein Wasserloch zu gelangen. Ein Brunnen im Dorf zu haben, ist fast schon ein Luxus. Nach dem Nachtessen bekommen wir von den Dorffrauen eine Massage. So können sie ihr Einkommen aufbessern. Danach ist kurz nach acht Uhr Nachtruhe.

Der Tag in Laos beginnt schon kurz nach fünf Uhr. Wir wickeln uns aber noch einmal in die Wolldecke ein und dösen einwenig weiter, während es draussen schon geschäftig zu und her geht. Nachdem wir uns dann auch langsam von unserem Nachtlager erhoben haben, beobachten wir bis zum Frühstück das bunte Treiben im Dorf. Die Schweine graben die schlammige Erde um, die Hühner verirren sich ab und zu in die Küche, die Frauen mahlen mit Steinen Getreide, Babies werden beschwichtigt und die Schulkinder setzen sich zu uns, um uns neugierig zu beobachten. Zum Teil lernen sie einwenig Englisch in der Schule. Später erfahre ich, dass das Schulsystem nicht besonders effizient ist. Während der drei Monate Regenzeit sind Ferien, damit die Lehrer ihre Felder bestellen können. Von ihrem Monatsgehalt von ungefähr 50 Fr. können sie alleine nicht leben und sind somit auf Selbstversorgung angewiesen. Die Kinder müssen während den Ferien ihren Eltern helfen. In den ersten beiden Wochen nach Schulbeginn wird dann das ganze Schulhaus geputzt und das Gras um das Schulgebäude geschnitten, was als Schulunterricht durchgeht. Allgemein hat Schulbildung einen geringen Stellenwert in Laos. Die Lehrer unterrichten zwar Englisch, aber ihr Wissen ist oft kleiner als dasjenige eines Schülers bei uns nach einem Jahr Englischunterricht.

Kurz darauf brechen wir auf. Vor uns liegen fünf Stunden Fussmarsch durch dichten Regenwald. Es geht bergauf und bergab. Mittagsrast halten wir an einer Waldlichtung. Dazu wird eine Decke ausgebreitet, die Säckchen mit dem gekochten Reis werden verteilt und Gurken, Rühreier und frittierte Schweinehaut aufgetischt. Bis zum Abend sehen wir höchstens noch ein paar Jäger die Eichhörnchen oder andere kleine Tiere jagen. Auffallend ist, wie wenig Tiere, abgesehen von den Insekten, wir sehen. Nicht einmal Vögel hören wir. Die meisten Tiere sind wohl den Flinten zum Opfer gefallen. Die Kost in Laos erinnert sehr an eine Jäger- und Sammler-Kultur. Die Essenskultur ist niemals so ausgefeilt wie in Thailand oder Japan, wo die verschiedenen Geschmacksrichtungen sehr fein aufeinander abgestimmt sind. In Laos wird der Magen mit Reis gefüllt. Dies ist ein glutenreicher Klebreis, der zu kleinen Bällchen geformt wird und dann in die verschiedenen Saucen und Fleischgerichte getunckt wird. Dazu werden verschiedene Kräuter und Gewürze gereicht. Als Snack knabbert man an Samen und Früchten. In den Restaurants für die Langnasen bekommt man aber auch immer die populärsten Gerichte aus Thailand, Italien, Indien oder Amerika, wobei ich nur die Thaigerichte beurteilen kann. Eine Ausnahme bilden wohl die sehr beliebten indischen Restaurants, die auch von Indern geführt werden. Eine grosse Liebe entwickle ich zum Laoskaffee, den man auf der Strasse oder an Busbahnhöfen bekommt. Schon bald verweigere ich den „Langnasenkaffee“ (Instant- oder Schwachstromfilterkaffee), den man in den Restaurants bekommt. Die Röstung ist beim Laoskaffee anders als bei unserem Kaffee. Er hat einen leicht süsslichen, nach Kakao schmeckenden, milden Geschmack.

Am dritten Tag regnet es dann öfters. Der sehr schmale Pfad verwandelt sich in eine schlammige Rutschpiste. Unter uns tut sich immer wieder der Abgrund auf. Zu allem Übel müssen wir auch noch den Kampf mit den Blutegeln aufnehmen. An einem Fluss untersuchen wir dann unsere Schuhe, Socken und Kleider genauestens um all diese ekligen Dinger aufzuspüren. Als wir am Nachmittag müde und schmutzig im Dorf ankommen, wo wir wieder abgeholt werden, atmen alle erleichtert auf.

In diesen drei Tagen sind wir an keinem einzigen Geschäft vorbeigekommen, geschweige denn an einer Apotheke. Mit dem Gesundheitssystem steht es in Laos nicht zum Besten. In den Apotheken werden Medikamentekopien mit zweifelhaften Inhaltsstoffen oder abgelaufene Medikamente aus dem Westen verkauft. Es gibt nur ein etwas besseres Krankenhaus in der Hauptstadt. Den Reisenden wird eindringlich empfohlen bei Anzeichen von Fieber oder irgendwelchen ernsthaften Erkrankungen sofort nach Thailand auszureisen und sich da behandeln zu lassen, wo das Gesundheitssystem fortschrittlich ist. Ein Freund, der momentan in Vientiane lebt, rät mir sehr eindringlich von Huhn oder Ente ab und empfiehlt mir nur Eier zu essen, wenn sie gut gekocht sind. Seine Frau arbeitet für die Unicef und hat momentan ein Mandat beim Gesundheitsministerium in Laos um einen Plan zur Epidemienbekämpfung auszuarbeiten. Ausbrüche von Vogelgrippe in Laos werden nicht publik gemacht, kommen aber häufig vor. Laos ist ein sozialistisches Land mit Beschränkungen der Meinungsfreiheit. Auch Denguefieber ist laut diesem Freund weit verbreitet. Leute würden immer wieder daran sterben, da sie zu spät ins Krankenhaus gingen. Wenn ich aber die Laoten frage, ob Denguefieber häufig vorkomme, sagen mir alle: "Oh nein, in Laos gibt es kein Denguefieber". Wenn es aber im Nachbarland Kambodscha diesen Sommer in gewissen Gebieten fast seuchenartige Ausmasse annahm, wie kommt es, dass es in Laos nicht vorkommen soll?

Wie ihr unschwer erkennen könnt, gehört Laos wohl zu den ärmsten Ländern dieser Welt. Nichtsdestotrotz gehören die Leute aber zu den freundlichsten und ehrlichsten. Wenn die Laoten etwas sagen, dann ist es zumeist so. Beim handeln kämpfen sie nicht um jeden Rappen und geben schnell nach, wenn man zwei Sekunden überlegt und nichts sagt. Ein Sprichwort sagt: „Die Thailänder pflanzen den Reis, die Vietnamesen schauen dem Reis zu, wie er wächst und die Laoten hören zu, wie er wächst“.