Dienstag, 12. August 2008

Von Hoffnungen und zerstörten Träumen

Es fängt bei meiner Ankunft am Flughafen in Bangkok an. Ich bin müde, zumal ich beinahe direkt nach der letzten Nachtwache los flog und ich konnte auf dem Flug kaum schlafen. Ich überlege mir, dass ich eigentlich gar keine Lust auf die normalen touristischen Sehenswürdigkeiten wie Tempel, Museen, Touristenmärkte, Trekking und Städte habe. Ich möchte mehr über die Leute, Kultur und Essgewohnheiten erfahren. Ich muss auf meiner Reise die ganze Sache einmal anders angehen. Im Reiseführer finde ich ein paar Adressen von Schulen, die traditionelle Thai-Massage unterrichten. Wie wäre es denn, eine Woche mit einem Massagelehrer zu verbringen und so etwas über das Land und die Leute zu erfahren? Gleich unterwarf ich meinen von der Reise müden und verkrampften Körper der eher schmerzhaften aber auch sehr entspannenden Prozedur einer traditionellen Thai-Massage und war von der Behandlung begeistert. Kurz darauf hielt ich eine Bestätigung für eine Massageschule in den Händen, wo ich innerhalb von fünf Tagen das Handwerk erlernen soll.

Am Sonntagmorgen werde ich pünktlich um halb neun von meiner Lehrerin abgeholt um mit dem Tuktuk zur Schule zu fahren. Im angenehm klimatisierten und entspannenden blau gehaltenem Schulraum geht es gleich zur Sache. Das Programm ist dicht gedrängt. Wir ertasten uns sogleich die Muskelstränge am Schienbein um den Muskel dann ähnlich wie bei der Akkupressur mit den Daumen und den Handballen auseinander zu drücken. Dann wird mit kniffligen Hand- und Fussgriffen gedehnt und geknetet.

Was habe ich nun schlussendlich während dieser Woche über die Leute erfahren? Es geht um Hoffnungen, Pläne und zerstörten Träumen. Mam, meine Lehrerin, spricht nicht mehr mit ihrem Ehemann und möchte sich trotz der vier gemeinsamen Kindern einen Europäer angeln um ein besseres Leben zu haben. Sie arbeitet hart und hat verschiedene Jobs. In naher Zukunft möchte sie eine eigene Massageschule aufmachen. Ausser dass ihr Ehemann uns jeden Morgen und Abend mit seinem Tuktuk zwischen Schule und Gästehaus hin- und herfährt, scheint er nicht viel zu machen. Oft liegt er auf einer Massagematte im Schulungsraum. Er wirkt resigniert, traurig und hilflos. Mam ignoriert ihn auf der ganzen Linien und feiert am Abend mit westlichen Verlierertypen, die dem Wiskhy zu stark zusprechen, in der Strasse unten vor meinem Gästehaus. Sie will immer wieder wissen, wie Schweizer oder Holländer sind, wieviel sie verdienen, wie das Leben in der Schweiz ist und wie sie einen neuen Partner finden kann. Am liebsten wäre es ihr, wenn ich sie gleich mitnehme.

Diana, eine Mitstudentin weilt in Thailand um an der Beerdigung ihrer Mutter teilzunehmen. Während sie hier ist, macht sie einen Massagekurs, um dann in Holland einen Massagesalon aufbauen zu können. Sie ist 32 Jahre alt und hat sich für ihren holländischen Ehemann sogar Silikonbrustimplantate machen lassen. Er hat vor kurzem sie und den gemeinsamen neunjährigen Sohn verlassen. Er wird wieder nach Thailand kommen, um sich eine jüngere und schönere Ehefrau zu suchen. Diana hat noch nie in Holland gearbeitet und wird von ihrem Noch-Ehemann keine Allimente bekommen. Nach Thailand kann und will sie nicht zurückkehren.

Es gehört zum Stadtbild dieses schönen tropischen Gartens, dass alte hässliche Europäer sich mit schönen jungen Thaifrauen in der Öffentlichkeit zeigen und zum Teil ziemlich unschicklich benehmen. Eines Abends komme ich auf dem Nachhauseweg an den vielen Bars vorbei, wo die Mädchen in ihren kurzen Röcken auf ihren "Traumprinzen" warten, auch wenn er es nur fuer 1 - 2 Wochen ist. Diese Traumprinzen sind über fünfzig, tragen zumeist bunt gemusterte Baumwollhemden über ihrem grossen Bierbauch, die haarigen weissen Beine stecken in Shorts und weisse Sportsocken gucken zu den Ledersandalen heraus. Mir erscheint es, als hielten sich diese Männer nur aus einem Grund in diesem schönen Land auf. Ich fühle mich sehr unbehaglich, als ich beim Vorbeigehen die gierigen auf mich gerichteten Blicke bemerke. Die Augen glänzen vom vielen Bier und von was weiss ich sonst noch. Plötzlich realisiere ich, dass ich seit einer Woche nicht mehr mit einem Mann gesprochen habe, es sei denn, ich wollte in einem Laden etwas kaufen. Von Thais werde ich nicht angesprochen. Die Touristen sind entweder als Paar unterwegs oder sie haben ein Thaimädchen im Schlepptau. Sogar jüngere Semester "besorgen" sich ein attraktives Mädchen für die Ferien. Dies ist ja auch viel unkomplizierter, wenn einem nicht ständig widersprochen wird und man sich schön bedienen lassen kann.

Wenn ich die Thai-Mädchen im Internetcafe beobachte, sehe ich oft, wie sie "Partnervermittlungsbörsen" im Internet abklappern. Man kann sich offensichtlich auch übers Internet kennenlernen und dann seine Auserwählte hier besuchen. Unter Umständen bringt man die Auserwählte auch gleich als Souvenir mit nach Hause.

Andererseits wer kann es diesen Mädchen verübeln. Sie verdienen gutes Geld, unterstützen teilweise ihre ganzen Familien in ihrem Heimatdorf und werden beinahe gefeiert, wenn sie zurückkehren. Sie träumen von einem besseren Leben. Manche werden es auch finden. Eher beschämend finde ich es der gleichen Kultur wie diese Touristen anzugehören.


(im "Mein Magazin" Oktober 2008 erschienen)

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