Dienstag, 12. August 2008

I have a Dream

„I have a Dream“ – dies steht auf unseren T-Shirts als wir am Freitag, mitten in den Pessach-Festivitäten, gemeinsam mit israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten die Shuhada-Strasse im israelisch verwalteten Stadtteil von Hebron hinunter gehen. Die Shuhada-Strasse, früher eine lebendige Marktgasse, ist für PalästinenserInnen gesperrt. Unser Demonstrationszug ist bunt gemischt: Es nehmen israelische Friedensaktivisten aus verschiedenen Generationen, PalästinenserInnen die in Hebron wohnen und internationale BeobachterInnen teil. Gemeinsam möchten wir ein Zeichen gegen die israelische Besatzung setzten. Unsere 70 – 80 Personen grosse Gruppe wird von einem älteren, übergewichtigen Siedler mit Maschinengewehr scharf beobachtet. Mehrmals umkreist er unseren Treffpunkt und filmt uns.

Kurz nach 13 Uhr gehen wir schweigend an der jüdischen Siedlung Beit Hadassah vorbei. Wir sehen für einmal nicht die Geisterstadt mit den verriegelten Türen, dem Stacheldraht, den verbarrikadierten Strassen und den palästinenserfeindlichen Graffitis an den Häuserwänden, sondern beobachten das Tun und die Reaktionen der Siedler, da wir verbale und physische Attacken befürchten. Dementsprechend pocht mein Herz einwenig schneller als üblich. Wir wissen genau, dass diese kleine Demonstration eine grosse Provokation für die Siedler in Hebron ist. Die israelische Armee und die Polizei brauchen ein paar Minuten, um sich zu organisieren und zu reagieren. Während wir die Shuhada-Strasse entlang gehen, geben ein paar israelische Demonstranten die Strasse nicht sofort frei, als ein Siedlerauto von hinten angefahren kommt. Daraufhin waren wir bald von etwa 60 Männern der israelischen Polizei und Armee umringt. Die palästinensischen Mitorganisatoren sind mittlerweile durch eine offene Stelle bei der Friedhofsmauer entwischt, um einer Kontrolle zu entgehen. Sie werden auch so schon oft genug angehalten und festgenommen. Wir verlassen bei der Abraham-Moschee den Demonstrationszug, da sich die Anspannung mittlerweile noch gesteigert hat und sich ein Zusammenstoss zwischen den Siedlern und israelischen Demonstranten kaum noch vermeiden lässt.

Nach dem Wochenende lesen wir in der israelischen Zeitung Haaretz, dass die Demonstranten kurze Zeit später von den Siedlern angegriffen wurden. Die jüdischen Siedler berufen sich in diesem Zeitungsartikel auf ihr Selbstverteidigungsrecht, da der Verkehr aufgehalten und ein Mann unter medizinischer Behandlung angegriffen worden sei
[1] (der übergewichtige Siedler mit dem Maschinengewehr). Die Polizei nahm in der Folge sechzig israelische Friedensaktivisten fest, jedoch keinen einzigen Siedler.

Die berühmte Rede von Martin Luther King, worauf der Spruch auf unseren T-Shirts Bezug nimmt, gibt der Hoffnung Ausdruck, dass die Schwarzen in der Vereinigten Staaten der 60er Jahren eines Tages frei und gleichberechtigt sein werden und sie Gerechtigkeit erfahren. In dieser berühmten Rede kommt auch die Dringlichkeit der Forderungen und der Handlungsbedarf zum Ausdruck, aber auch ein klare Absage an die Gewalt
[2]. All dies lässt sich heute auf die Situation der Palästinenser übertragen.

An diesem Freitagnachmittag wollen die israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die PalästinenserInnen eines Tages wieder die Shuhada-Strasse hinuntergehen können. Dass sie nicht mehr ausgegrenzt, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und an jeder Ecke kontrolliert werden. Dass sie gleichberechtigt sind und ihnen im Umgang mit den Behörden und vor Gericht die gleichen rechtsstaatlichen Garantien gewährt werden wie den Israelis. Die Demonstranten hoffen auf eine Zukunft, in der sie gemeinsam im gleichen Land als gleichberechtigte, freie Bürger, ohne Misstrauen und Hass leben können.


[1] http://www.haaretz.com/hasen/spages/978092.html
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/I_Have_a_Dream

(erschienen in FriZ 02/08)

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