Montag, 25. August 2008

Meine Freiwilligenarbeit in Hebron im Rückblick


Von Mitte Februar bis Mitte Mai 2008 leistete ich Freiwilligenarbeit in Hebron, wo wir mit unserer Präsenz die Lokalbevölkerung unterstützten und begleiteten, wenn sie bedroht wurden. Zudem beobachteten und dokumentierten wir Menschenrechtsverletzungen. Ich möchte nun zum Abschluss dieses Jahres einen kurzen Rückblick auf diese für mich eher schwierige, aber sehr lehrreiche Erfahrung machen.

Während den ersten sechs Wochen fand ich alles sehr verwirrend. „Das kann doch nicht sein. Ich verstehe das nicht!“, dachte ich immer wieder aufs Neue. Die Geschichten über Festnahmen, Häuserzerstörungen, Belästigungen etc. schienen sich zu wiederholen. Ich schwankte emotional jeweils zwischen „Ach nicht schon wieder! Ich mag es schon nicht mehr hören!“ und Verwunderung über diesen absurden Ort, wo Dinge geschahen, die ich nicht einordnen konnte. In der zweiten Hälfte meines Einsatzes erschien mir plötzlich alles klar. Ich wurde über die Dinge, die ich beobachtete, sehr wütend und hielt diese kaum aus. Ich hatte ein unersättliches Bedürfnis, meine Empörung mitzuteilen, was für mein Umfeld bestimmt nicht immer einfach war. Ich konnte mich auf kein anderes Thema mehr einlassen. Die Besatzungssituation und deren Auswirkungen beherrschten mein Leben vollständig. Ich erlebte diese drei Monate als mental äusserst anspruchsvoll. Ich spürte meine Grenzen und überschritt diese zum Teil auch. Meine Stressbewältigungsstrategien (Yoga, Musik hören, mit Freunden telefonieren) hatten nicht mehr den gewünschten Effekt. Ich versuchte mich vielmehr mit Essen, Rauchen und Kaffee trinken zu entspannen, was dann auch zu einer ziemlichen Gewichtszunahme führte.

Erschwerend kam hinzu, dass wir als Team (bestehend aus zwei Schweizern, einer Engländerin und einem Finnen) unser Sozialleben von Anfang an völlig in den Hintergrund stellten. Uns gelang es nicht, eine gesunde Balance zwischen Freizeit und Arbeit aufzubauen. Ich erlebte das Leben und Arbeiten in einem ehrgeizigen Team als etwas vom Schwierigsten überhaupt. Niemand wollte sich Pausen zugestehen. Sobald wir in unserer Wohnung ankamen, arbeiteten wir an unserem Computer weiter, um Informationen auszuwerten und Berichte oder Artikel zu verfassen, bis wir irgend einmal todmüde ins Bett fielen. Auch gab es für mich einige frustrierende Momente. Es war den anderen Teammitgliedern weniger wichtig, in einem geregelten Haushalt mit regelmässigen Mahlzeiten zu leben. So blieb die Organisation und das Bewirten der vielen Besucher, der Lebensmitteleinkauf und das Zubereiten der Mahlzeiten oft an mir hängen. Meine Teammitglieder bedankten sich jeweils dafür und schienen es zu schätzen. Ich hätte mir jedoch eher ein Mitdenken und etwas mehr Mithilfe gewünscht. Die Wirkung meiner Motivationsversuche hielt leider jeweils nicht sehr lange an.


Auch nach meiner Rückkehr hielt meine Empörung an. Es fiel mir schwer, mich wieder auf mein Umfeld zu Hause einzulassen. Ich hatte verlernt, meine Bedürfnisse wahrzunehmen. Erst während meiner Reise im darauf folgenden Monat in den indischen Himalaya fand ich meinen Seelenfrieden und mein inneres Gleichgewicht wieder. Ich lebte dort nach dem Lustprinzip und lernte wieder, was mir Spass macht. Ich konzentrierte mich ganz auf mich selber. Meist entschied ich mich spontan für ein Trekking, eine Gipfelbesteigung, Yoga oder Meditationsklassen. Während diesen fünf Wochen hatte ich überhaupt keine Lust zum Schreiben, was während dem Reisen für mich eher ungewöhnlich ist. In Hebron hatte ich jedoch so viel geschrieben, dass ich die Freude daran einwenig verloren hatte. Ich dachte mir jedoch: „Was soll es? Das kommt früher oder später schon wieder.“ Ich hatte viele spannende Diskussionen mit zwei Frauen, die ich in Indien kennen gelernt hatte, über Lebensgestaltung und was im Leben wichtig ist. In Bezug auf die Lebenseinstellung fühlte ich mich ihnen sehr verbunden. Mein Interesse für mir eher unbekannte Dinge wie Kinesiologie, indische Philosophie oder Meditation wurde geweckt. Ausserdem hatte die Atmosphäre der kargen Wüstenlandschaft von Ladakh schon eine sehr heilende und meditative Wirkung.

Nun fühle ich mich bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Ich werde mich wohl weiterhin für Menschenrechte einsetzen, aber auch neue Dinge in Angriff nehmen. Wohl ist eine Arbeit in einem so konfliktbeladenen Gebiet wie Hebron zu belastend für mich. Ich sehe aber noch andere Betätigungsmöglichkeiten. Vielleicht werde ich mich vermehrt der Politik zuwenden oder für eine NGO in der Schweiz tätig sein. Vorerst möchte ich jedoch meine Rechtspraktika absolvieren, das Leben geniessen und danach weiterschauen.
(erschienen im Friz 04/08)

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