Mittwoch, 17. Dezember 2008

Eine ungewöhnliche Begegnung

Mir ist nie klar geworden, wieso ich eigentlich in dieses Silberschmuck-Geschäft in Udaipur (Rajasthan, Indien) gegangen bin. Ich hatte schon mehr als genug Schmuck gekauft und wollte meine Zeit für andere Dinge nutzen. Irgendetwas hat mich jedoch magisch angezogen.

Kaum bin ich eingetreten, sagt der Verkäufer zu mir: „Du überlegst zu viel. Du solltest mehr mit Deinem Herzen denken und Dir weniger Sorgen machen. Es wird sich alles in Wohlgefallen auflösen. Du bist ein guter Mensch, der anderen Leuten gerne hilft und auf den man sich verlassen kann.“ Erst einmal schaute ich den Mann überrascht an, denn so wurde ich noch nie begrüsst. Ausserdem bin ich mir nicht sicher, ob das einfach nur wieder eine Masche ist, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, und ob er mich in ein Verkaufsgespräch verwickeln will. Der Mann fragt mich: „Darf ich aus Deiner Hand lesen?“ Wortlos strecke ich ihm meine rechte Hand hin. „Nein, nein, ich muss aus Deiner linken Hand lesen!“. Dann beugt er sich über meine Hand und fängt mit seinem Zeigfinger an, den Handlinien zu folgen und zu nicken. „Gesundheit, Geld und Arbeit werden nie ein Problem für Dich sein“ fängt er an „allerdings musst Du mehr reisen, um glücklich zu werden!“. Da muss ich mir ein Schmunzeln verkneifen, denn ein paar Leute haben mich schon als verrückt abgeschrieben, weil ich so viel mit meinem Rucksack irgendwo in der Welt unterwegs bin. „Du hast Deinen Lebenspartner bis jetzt noch nicht getroffen
. Du wirst ihm jedoch auf einer Reise begegnen“ fährt der Mann weiter „Du wirst wissen, dass er nun der Richtige ist.“ Ich solle dann alles daran setzen, um das Ding zum Laufen zu bringen, auch wenn das bedeute, dass ich nach England oder Belgien umziehen müsse.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nichts gesagt, sondern nur gespannt zugehört. Der Mann erklärt mir: „Ich hatte schon als Kind die Fähigkeit, Leute zu lesen. Ich wurde von einer geistigen Führerin entdeckt und im Aura lesen geschult. Diese Gabe bringt aber auch Verpflichtungen mit sich. Zum Beispiel darf ich für meine Dienstleistung kein Geld entgegen nehmen. Ausserdem kann ich keine Beziehung zu einer Frau eingehen.“ In letzter Zeit habe er nicht mehr die Aura von Menschen gelesen, da es sehr viel Energie koste. Bei mir habe er sich aber nicht zurückhalten können. Ich frage ihn, was er mache, wenn er ein schwerer Schicksalsschlag beim Handlesen sehe. „Das ist eine wichtige Frage“ meint der Mann „über Unfälle, schwere Krankheiten oder den Todeszeitpunkt darf ich keine Auskunft geben“.

Ich bin verständlicherweise ziemlich verwirrt über die Dinge, die mir Sanjay gesagt hat. Ich muss diese Begegnung erst einmal verdauen. Während ich ihn bei seinen Verkaufsgesprächen beobachte, versuche ich das gerade Erlebte einzuordnen. Mir fällt auf, wie zurückhaltend Sanjay, entgegen den örtlichen Gepflogenheiten, im Umgang mit seinen Kunden ist. Er lässt sie in aller Ruhe die Auslage betrachten. Wenn er nach dem Preis eines Schmuckstückes gefragt wird, sagt er einen fairen Preis. Darauf angesprochen meint er: „Ich werde pro Arbeitstag entlöhnt und arbeite nicht auf Provision. Ich möchte nicht unter Druck stehen, möglichst viel zu verkaufen.“ Die Leute kaufen bei Sanjay gerne und viel, da ihnen auch klar sein muss, dass sie es sonst nirgends zu diesem Preis bekommen. Ein Franzose verlässt das Geschäft, obwohl ihn ein etwas teurerer Fingerring, der eine Einzelanfertigung ist, sehr fasziniert. Sanjay meint nur: „Ach kein Problem, der kommt zurück und wird den den Ring kaufen, bevor er die Stadt verlässt.“

In den nächsten Tagen gehe ich immer wieder ins Geschäft, um mit Sanjay zu plaudern, Tee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Wir diskutieren über Lebensqualität, Meditation, Yoga, gesunde Lebensführung, inneres Gleichgewicht und ähnliche Dinge. Ich geniesse die ruhige Atmosphäre im Laden und kann die Auslagen in aller Ruhe studieren, wenn er Kunden bedient. Für mich ist es ein Ort, wo ich mich vom Gewimmel in den Strassen erholen kann.


Eigentlich hat mir Sanjay mit seinen Prophezeiungen nichts wirklich Neues gesagt, sondern nur das bestätigt, was ich zumindest insgeheim schon wusste, aber vielleicht nicht so gerne wahrhaben wollte. Mir fallen immer wieder Fragen zu den Prophezeiungen ein. Ich frage ihn dann: „Du hast dies und jenes gesagt, wie hast Du das gemeint? Habe ich Dich richtig verstanden, als Du das gesagt hast?" Bei einem unserer Gespräche, schneide ich meine Zweifel über meine berufliche Zukunft an. Sanjay betont: „Du musst Geduld haben und mindestens noch ein Jahr warten bis Du Deine Traumstelle findest. Das Praktikum musst Du allerdings unbedingt machen, auch wenn Du momentan den Sinn dahinter nicht siehst. In 4 oder 5 Jahren wirst Du dankbar dafür sein, das Anwaltspatent doch noch gemacht zu haben. Du wirst aber auch genug Zeit zum Reisen haben“. Bis anhin haben mir alle Leute geraten das Anwaltspatent zu machen, aber ich konnte oder wollte dies nicht so recht glauben. Ich entschliesse mich mit dem Zweifeln aufzuhören, das Beste aus der Situation zu machen und mich in Geduld zu üben. Wenn Sanjay‘s Prophezeiungen sich bewahrheiten, umso besser und wenn nicht, werde ich mir nichts verbaut haben. Das Überlegen und das Abklären von Alternativen, was schlussendlich doch nirgendwohin führt, kostet mich viel Energie. Ich erlebe es als ermüdend. Diese Energie kann ich nun für angenehmere Dinge einsetzen.

Mich hat wohl noch nie eine solch kurze, aber intensive Begegnung so beeinflusst und nachhaltig beschäftigt. Immer wieder überlege ich mir, was wir diskutiert haben, und was das jetzt für mich bedeutet. Ich gehe davon aus, dass mich diese Begegnung auch in Zukunft beeinflussen wird. Normalerweise bin ich sehr zurückhaltend, solchen Prophezeiungen viel Glauben zu schenken. Meine Intuition sagt mir jedoch, dass ich Sanjay als Menschen trauen kann und nicht von ihm verkohlt wurde. Unsere Gespräche wirkten echt und ehrlich auf mich. Da war kein Opportunismus von seiner Seite her spürbar. Dies ist sonst in Indien nicht der Normalfall ist.

Keine Kommentare: